Streit mit dem
Herrenstand

STANDPUNKT HERREN: "Wir dulden Wolfgang Jörger nicht mehr als Hauptmann ob der Enns."
STANDPUNKT JÖRGER: "Besetzung und Entsetzung von Hauptmannschaft gebührt nur dem Fürsten. Maximilian hat mich zum Hauptmann gesetzt."

Unter den elf Geschlechtern des Herrenstandes waren die Herren von Polheim die mächtigsten, unter den 150 Familien des Ritterstandes waren die Jörger das einflussreichste Geschlecht. Es ist daher kein Zufall, dass der Streit um den Posten der Landeshauptmannstelle sich zwischen diesen beiden Familien abspielte.

Die Jörger waren im Hochmittelalter in Lehensdienst zu den Starhembergern getreten und damit zu Rittern geworden, die im Dienst der Herren standen. Wenn diese Unterschiede in der Rangordnung sich auch gegen Beginn der Neuzeit aufzulösen begannen, so waren sie in den Köpfen der Vertreter des Ritter- oder Herrenstandes dennoch präsent. Als dann der bei den Herren unbeliebte Ritter Wolfgang IV. Jörger von Kaiser Maximilian die ansonsten für Herren reservierte Stelle eines Landeshauptmannes bekam, eskalierte der schon lange schwelende Konflikt durch die Sturheit des Jörgers und den Standesdünkel der Herren.

Solange Maximilian lebte, konnte er seinen Günstling im Amt halten, doch nach seinem Tod führten die Herren eine Klagschrift gegen Wolfgang. Darin hieß es, er zeige sich ihnen gegenüber verächtlich und hochmütig und verweigere ihnen den Titel "wohlgeboren". Außerdem habe unter seiner Landeshauptmannschaft die Straßenräuberei überhand genommen. Der Jörger antwortete geschickt auf die Anklagen und so gingen Anklageschriften und Rechtfertigungen hin und her, wobei der Ton mit jeder Schrift rauer wurde. Es wurden auch, wie sich der Jörger beklagte, die verschiedensten Gerüchte gegen ihn in Umlauf gebracht, "Schändbriefe" verfasst und er in "Weinhäusern ausgeschrien". In der letzten Schrift meinte Jörger sarkastisch, die Anklage des Herrenstandes sei jämmerlicher "als Jeremias Klagelieder". Im Worte "wohlgeboren" liege der Herren "Sterben und Verderben", die Ritterschaft verweigere ihnen dieses jedoch mit gutem Grund.

Trotz seiner geschickten Verteidigung wurde er am 15. Oktober 1521 von Ferdinand I. als Landeshauptmann abgesetzt. An Wolfgangs Stelle wurde, wie schon vor seiner Amtszeit, ein Polheimer, Cyriak von Polheim, eingesetzt. Ferdinand erwirkte schließlich eine Versöhnung der Streitparteien und machte Wolfgang IV. zum Hofrat. 

Rund 40 Jahre nach dem Tod Wolfgangs wurden die Jörger selbst in den Herrenstand erhoben. Von dieser Zeit an wollten auch sie mit "wohlgeboren" angesprochen werden und übernahmen schnell die Standesdünkel des Herrenstandes.

Autoren: Irene und Christian Keller, 2010

Die Jörger von Tollet und ihre Zeit. Glaube, Macht und Untergang eines protestantischen Adelsgeschlechtes - Dokumentation zur Sonderausstellung im Schloss Tollet im Zuge der OÖ. Landesausstellung 2010.