Volksmedizin
und Aberglauben

Hingerichtete durften durch ein Verbot der Kirche nicht in geweihter Erde begraben werden.

Manchmal sah die Strafe vor, dass sie bis zur Verwesung auf der Hinrichtungsstätte verbleiben mussten erst danach abgenommen und begraben werden durften. Ihre letzte Ruhe fanden sie zumeist direkt unter der Hinrichtungsstätte. Der Henker arbeitete auch als Wasenmeister und war für die Tierkörperverwertung zuständig. Es finden sich daher auch viele Tierknochen an Hinrichtungsstätten.

Im 16. und 17. Jahrhundert boomte das Geschäft mit Körperteilen Hingerichteter. Die Volksmedizin verwendete getrocknete und pulverisierte Leichenteile. So berichtet auch die Schrift des Arztes und Apothekers Johann Schröder (1600-1664) „Vollständige und nutzreiche Apotheke oder trefflich versehener medicin-chymischer höchstkostbarer Artzney-Schatz“.

Johann Schröder (1600-1664)

"Man nehme ein Stück Fleisch von einem Menschen (der entweder gehencket/ oder mit dem Rade vom Leben zum Tode gebracht worden) / schneide es klein [...]

"Man nehme ein Stück Fleisch von einem Menschen (der entweder gehencket/ oder mit dem Rade vom Leben zum Tode gebracht worden) / schneide es klein / und impraegnire es mit Myrrhe hernach trockne man es mählig über Rauch / der von Wacholder Holz und derselben Beere gemacht ist. Diese Mumie ist wegen der Remanenz des Spiritus Vitalis muminalis von großer Krafft und Wirckung des vom Falle des gelieferten Geblüt aufzulösen. Dessen Dosis ist 3j [unbekannte Angabe] in bequemen Vehiculo gereichet / und den Schweiß darauf abgewartet."

Aus: D. Johann Schröders vollständige und nutzreiche Apotheke oder trefflich versehener medicin-chymischer höchstkostbarer Artzney-Schatz". Deutsche Ausgabe von 1709 (Erstausgabe 1641), OÖ. Landesbibliothek; Signatur II 61392/1,2


Arme-Sünder-Fett oder Axungia hominis

Das Arme Sünderfett wurde aus Menschenfett bereitet und galt seit dem Mittelalter als Bestandteil von schmerzstillenden Salben. Bei innerer Anwendung soll es gegen Schwindsucht und Geisteskrankheiten gewirkt haben. Auch Paracelsus (um 1493 bis 1541) verwendete diese Zutat. Wichtig war, dass das Fett von Menschen gewonnen wurde, die eines unnatürlichen Todes mit gebundenem Leib gestorben waren, erhenkt, aufgespießt oder geradebrecht (gequält) wurden. Sie starben und verwesten an der Luft, was ihr Fett so besonders machte. Paracelsus folgerte, dass, wenn mehr Ärzte oder Menschen über das wertvolle Gut Bescheid wüssten, kaum ein Hingerichteter länger als drei Tage am Galgen oder Rad verbleiben würde.

Wussten Sie?

Nicht an die zehn Gebote gebunden („Du sollst nicht töten“), war der Henker eine mystische Person innerhalb der Stadt. Ihm wurden Zauberkräfte zugeschrieben. Diesen Aberglauben verstand der Henker zu nutzen: er verkaufte Amulette und Talismane, wie in Silber gefasste Strickstücke, die Selbstmörder verwendet hatten oder vom Henker für Hinrichtungen am Galgen verwendet worden sind.


Von Totenfingern, Blut der Enthaupteten und Selbstmörder-Stricken

Den Relikten Hingerichteter wurde im Volksglauben eine große Heil- und Wunderkraft zugeschrieben. Nicht selten wurden Gehenkten Finger, Zehen oder Haare abgeschnitten oder ihre Kleider geraubt. Auch das Blut von Enthaupteten soll wundersame Kräfte gehabt haben, weshalb es noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert von Schaulustigen mit Tüchern aufgefangen und zum Teil sogar getrunken wurde. Tüchlein dieser Art, Fingerknochen und auch Penisse wurden hernach in Bierfässer gehängt, damit das Gebräu keinen Schaden nahm, wohlschmeckender wurde und sich leichter verkaufen ließ. 1878/79 berichtete Heinrich Heine in seiner Novelle „Im Brauerhause“ von einem Brauer, in dessen Bier man einen fingerförmigen Heferückstand gefunden habe. Es solle sich dabei um den Daumen eines Gehenkten gehandelt haben.

Wussten Sie?

Hingerichtete und deren Habe gingen nach erfolgter Hinrichtung in den Besitz des Scharfrichters über. Er hatte die Möglichkeit damit Handel zu treiben und sich sein Gehalt aufzubessern. Dass er den Volksglauben um die wundersame Wirkung von Leichenteilen Hingerichteter für sich ausnutzte, scheint auf der Hand zu liegen.

Autorin: Ute Streitt

Schande, Folter, Hinrichtung. Rechtsprechung und Strafvollzug in Oberösterreich. Ausstellung der OÖ. Landesmuseen im Schlossmuseum Linz und Mühlviertler Schlossmuseum Freistadt vom 8. Juni bis 2. November 2011.