1919–1920

Not und Unsicherheit
Die meisten Österreicher unterstützen die Anschlussidee und gehen dafür bei Demonstrationen auf die Straße. Die Kommunisten gewinnen unter Invaliden, Arbeitslosen und Kriegsheimkehrern an Einfluss. Auftrieb erhalten sie durch die Räterepubliken in Bayern und Ungarn. Es kommt zu Umsturzversuchen und blutigen Ausschreitungen (Graz: 22. Februar, Wien: 17. April und 15. Juni 1919). Allein in der Bundeshauptstadt sterben dabei 26 Menschen. Not und Unsicherheit prägen den Alltag.

Anschlussbestrebungen
Das Vertrauen in ein eigenständiges Österreich ist gering. 1919 wollen die Vorarlberger zur Schweiz. Der Wunsch nach dem Anschluss an Deutschland bleibt. 1921 kommt es darüber zu Volksabstimmungen in Tirol und Salzburg. Über 98 Prozent sprechen sich jeweils für den Anschluss aus. Eine Abstimmung in der Steiermark wird auf internationalen Druck hin abgesagt.

Friedensverhandlungen in Saint-Germain-en-Laye
Europa wird neu geordnet: Die Siegermächte des Ersten Weltkrieges – Frankreich, Großbritannien, die USA und Italien – bestimmen die Friedensbedingungen in den Pariser Vororteverträgen. Ab Mai 1919 wird in Saint-Germain-en-Laye über Österreich verhandelt. Die österreichische Delegation wird nicht beigezogen und darf nur schriftlich Stellung nehmen. Die Bedingungen des Friedensvertrages lösen große Bestürzung im Land aus. Der Staatssekretär des Äußern Otto Bauer tritt aus Protest gegen das Anschlussverbot zurück.

Folgen
Besonders die Grenzziehung und das Anschlussverbot werden von der Bevölkerung als Missachtung des Selbstbestimmungsrechts der Völker empfunden. Nur unter Protest stimmt die Nationalversammlung am 6. September 1919 den Friedensbedingungen zu und Staatskanzler Karl Renner unterzeichnet am 10. September 1919 den Friedensvertrag. Am 21. Oktober beschließt die Nationalversammlung den neuen Staatsnamen „Republik Österreich“ und setzt die Anschlusserklärung vom 12. November 1918 außer Kraft.

Beschlussantrag

Beschlussantrag des Hauptausschusses in der Konstituierenden Nationalversammlung:
„Die Nationalversammlung erhebt vor aller Welt ihren Protest dagegen, daß der Friedensvertrag von St. Germain unter dem Vorwande, die Unabhängigkeit Deutschösterreichs zu schützen, dem deutschösterreichischen Volke sein Selbstbestimmungsrecht nimmt, ihm die Erfüllung seines Herzenswunsches, seine wirtschaftliche, kulturelle und politische Lebensnotwendigkeit, die Vereinigung Deutschösterreichs mit dem deutschen Mutterlande, verweigert.“
(6. September 1919)

Koalitionsbruch
Die Regierung schafft im ersten Jahr grundlegende Reformen im Bildungs- und Sozialbereich. 1920 treten jedoch die ideologischen Gegensätze zwischen den Großparteien immer deutlicher hervor. Die Koalition zerbricht endgültig im Oktober 1920. Danach gehen die Sozialdemokraten in Opposition. Zwischen 1918 und 1934 gibt es 24 Regierungen bei einer durchschnittlichen Amtszeit von acht Monaten.

Autoren: Stefan Karner und Lorenz Mikoletzky, 2008 (wissenschaftliche Ausstellungsleitung)

Der Rest ist Österreich. Geschichte der Republik - Dokumentation zur Ausstellung im Nordico. Museum der Stadt Linz vom 3. Februar-18. April 2010