Österreichs Grenzen
1918–1921

Am 12. November 1918 stehen die Grenzen Deutschösterreichs noch nicht fest. Die Republik beansprucht alle vorwiegend deutschsprachig besiedelten Gebiete der österreichischen Reichshälfte und verlangt für Deutsch-Westungarn das Selbstbestimmungsrecht. Das Sudetenland, Südtirol, die Untersteiermark und große Teile Unterkärntens werden von den Nachbarstaaten gefordert. Der Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye erkennt Österreich nur wenige umstrittene Gebiete zu. Die neuen Grenzen werden als ungerecht empfunden, das von US-Präsidenten Woodrow Wilson verkündete Selbstbestimmungsrecht der Völker wird kaum angewandt. Die Grenzziehung birgt vielfach bereits neue Konflikte in sich.

Südtirol
Für seinen Kriegseintritt an der Seite der Entente (1915) wird Italien im Londoner Geheimvertrag die Brennergrenze zugesichert. Nach Kriegsende besetzen italienische Truppen Südtirol und das Trentino. Diese Gebiete werden 1919 in Saint-Germain-en-Laye Italien zugesprochen, Tirol wird dadurch geteilt. Während die Abtrennung des vorwiegend italienischsprachigen Trentino hingenommen wird, löst die Abtrennung Südtirols mit seiner überwiegend deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung große Empörung aus. Die neue Grenze wird als Unrecht empfunden. Das Thema Südtirol bestimmt fortan wesentlich die italienisch-österreichischen Beziehungen.

Grenzziehung im Norden
Die Tschechoslowakei wird nach ihrer Unabhängigkeitserklärung am 18. Oktober 1918 in den USA schließlich am 28. Oktober 1918 in Prag gegründet. Sie beansprucht auch die mehrheitlich deutsch besiedelten und industriell gut entwickelten Randgebiete Böhmens und Mährens (v. a. das Sudetenland). In Saint-Germain-en-Laye werden die Grenzen zugunsten der Tschechoslowakei gezogen. Selbst Feldsberg/Valtice und Gmünd/Ceské Velenice kommen mit ihren Eisenbahnknoten zur Tschechoslowakei.

Steiermark
Die Untersteiermark (etwa 400.000 Einwohner) ist zwar von Slowenen besiedelt, Marburg/Maribor und Pettau/Ptuj sind allerdings vorwiegend deutsch besiedelte Städte. 1918 bringt ein k. k. Stationskommandant das Gebiet unter slowenische Kontrolle. Deutschösterreich reagiert wegen der notwendigen Lebensmittellieferungen aus Kroatien äußerst zögerlich. Der Vertrag von Saint-Germain-en-Laye spricht die Untersteiermark schließlich dem Königreich SHS (ab 1929 Jugoslawien) zu.

Kärnten
Am 28./29. Oktober 1918 gründen die Slowenen, Kroaten und Serben auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie den Staat SHS (Slowenen, Kroaten, Serben), der am 1. Dezember 1918 von Serbien in das von Belgrad dominierte Königreich SHS integriert wird. Die Besetzung Südkärntens durch SHS-Truppen und die Ansprüche auf das Gebiet werden durch ein militärisches Aufgebot sowie eine Volksabstimmung am 10. Oktober 1920 zurückgewiesen. Unterkärnten bleibt bei Österreich.

Burgenland
Am 22. November 1918 fordert die Provisorische Nationalversammlung Deutschösterreichs die deutschen Siedlungsgebiete der Komitate Pressburg, Wieselburg, Ödenburg und Eisenburg. Im Vertrag von Trianon von 1920 wird das ehemalige Deutsch-Westungarn von Ungarn abgetrennt. Das neue Gebiet erhält den Namen Burgenland. Lediglich im Gebiet von Ödenburg/Sopron wird am 14. Dezember 1921 eine – manipulierte – Abstimmung abgehalten. Eine Mehrheit ist für den Verbleib Soprons bei Ungarn.

Autoren: Stefan Karner und Lorenz Mikoletzky, 2008 (wissenschaftliche Ausstellungsleitung)

Der Rest ist Österreich. Geschichte der Republik - Dokumentation zur Ausstellung im Nordico. Museum der Stadt Linz vom 3. Februar-18. April 2010