Nach 1945 versucht man in Österreich zunächst die NS-Zeit weitgehend zu verdrängen. „Nationalsozialismus“ und „Holocaust“ bleiben viele Jahre ein Tabu. Das alliierte Offert von „Österreich als erstem Opfer Hitler-Deutschlands“ wird bereitwillig übernommen und prägt das Selbstverständnis des Staates. In den 1960er und 1970er Jahren lösen antisemitische Skandale und politische Aktionen eine öffentliche Diskussion über den Nationalsozialismus aus. Doch erst die internationale Debatte um die Kriegsvergangenheit Kurt Waldheims (Bundespräsident 1986–1992) und seine persönliche Verantwortung bringen eine Aufarbeitung der NS-Zeit ins Rollen. 1991 bekennt das offizielle Österreich die Mitverantwortung von Österreichern an NS-Verbrechen.
Entschädigung
Als „Hitlers erstes Opfer“ sieht sich die Republik Österreich nicht zur „Wiedergutmachung“ verpflichtet und verzögert eine Entschädigung. Viele überlebende NS-Opfer stehen nach 1945 vor dem Nichts. Auf Druck der Westalliierten werden 1946 bis 1949 sieben Rückstellungsgesetze beschlossen, die jedoch sehr mangelhaft und kompliziert sind. Das Opferfürsorgegesetz 1947 unterstützt zunächst politische Widerstandskämpfer, die Anerkennung weiterer verfolgter Gruppen zieht sich bis ins Jahr 2005. Seit 1995 besteht beim Nationalrat der „Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus“, der offene Fragen der Entschädigung lösen soll und symbolische Zahlungen an Überlebende leistet.
Entnazifizierung
Die Entnazifizierung der österreichischen Gesellschaft wird sowohl von den Alliierten als auch von österreichischen Einrichtungen durchgeführt. Ihre Basis sind das Verbots-, das Kriegsverbrecher- und das Wirtschaftssäuberungsgesetz. Österreichische „Volksgerichte“ werden zur strafrechtlichen Verfolgung eingerichtet. 1947 werden die ehemaligen NSDAP-Mitglieder in „Belastete“ und „Minderbelastete“ unterteilt. 1948 beschließen ÖVP und SPÖ die Amnestie der zahlreichen „Minderbelasteten“, die zu einer von allen Parteien stark umworbenen Wählergruppe werden. Entnazifizierung, Verfolgung von NS-Verbrechen und Aufarbeitung der NS-Zeit stocken, die „Opferthese“ tritt in den Vordergrund.
Registrierte Nationalsozialisten (Stand: 1. April 1948)
Bundesland | Anteil an der Bevölkerung | Registrierte | davon: Belastete | davon: Minderbelastete |
---|---|---|---|---|
Wien | 6,8 % | 118.118 | 9344 | 108.744 |
Niederösterreich | 6,4 % | 81.763 | 7656 | 74.107 |
Burgenland | 5,8 % | 15.040 | 1027 | 14.013 |
Oberösterreich | 7,0% | 83.876 | 8283 | 75.593 |
Salzburg | 9,2 % | 31.428 | 2761 | 28.667 |
Steiermark | 8,4 % | 93.573 | 6628 | 86.945 |
Kärnten | 8,6 % | 42.683 | 3503 | 39.180 |
Tirol | 10,8 % | 46.908 | 3086 | 43.822 |
Vorarlberg | 9,3 % | 17.146 | 1180 | 15.966 |
Summe | 7,5 % | 530.535 | 43.468 | 487.067 |
Quelle: Dieter Stiefel: Entnazifizierung in Österreich. Wien 1981.
Der Rest ist Österreich. Geschichte der Republik - Dokumentation zur Ausstellung im Nordico. Museum der Stadt Linz vom 3. Februar-18. April 2010