Schule
im Brennpunkt

In der Ersten Republik wird heftig über Schulfragen gestritten. Die politischen Lager haben die Schule als Exerzier- und Experimentierfeld für sich entdeckt. Die Sozialdemokraten sehen in der Gesamtschule das Instrument zur Herstellung von Chancengleichheit und eine Etappe auf dem Weg zur klassenlosen Gesellschaft. Die Christlichsozialen wollen die bürgerlich-marktwirtschaftlichen Ordnung erhalten. Sie treten für ein mehrteiliges Schulsystem mit Niveaustufen ein. Der „Schulkampf“ betrifft Fragen der Schulorganisation und der Lehrinhalte, aber auch solche im Zusammenhang mit der Identität des neuen Staates.

Schulstreit
Mit Ende der Monarchie sind sich Schul- und Bildungsexperten aller politischen Ausrichtungen über die Notwendigkeit von Reformen einig. 1919/20 setzt Otto Glöckel, der sozialdemokratische Unterstaatssekretär für Unterrichtswesen, neue Akzente: Erstmals erarbeiten statt Juristen vor allem Schulfachleute wie Lehrer und Pädagogen die Lehrpläne. Seine Reformen werden jedoch ab 1920 stückweise wieder zurückgenommen. Erst die Einführung der Hauptschule 1927 stellt einen Schulkompromiss dar.
Eine scheinbare Randfrage der Schuldiskussion erhitzt die Gemüter und lässt Otto Glöckel zum Gottseibeiuns der katholischen Kirche werden: In zwei Erlässen verfügt Glöckel, dass Lehrer Schüler nicht mehr zu religiösen Übungen begleiten müssen und die Teilnahme an religiösen Übungen nicht als Grundlage für die Beurteilung herangezogen werden darf. Aufgrund dieses Konflikts geraten auch die pädagogischen Reformen Glöckels – etwa jene betreffend die „Arbeitsschule“ – ins Zentrum der politischen Polemik. Auch die Frage der „Einheitsschule“ für 10- bis 14-Jährige steht lange in Diskussion.

Schule und Identität
Der junge Staat ist noch auf der Suche nach einem einheitlichen Selbstverständnis. Das zeigt sich in den Schulbüchern und Lehrplänen der 1920er Jahre. Je nach politischer Ausrichtung werden in diesen die Schwerpunkte unterschiedlich gesetzt: Während das Bekenntnis zur Republik, die Zugehörigkeit zur deutschen Nation und die Heimatverbundenheit allen gemeinsam sind, fällt die Bewertung der untergegangenen Habsburgermonarchie gegensätzlich aus.
Erst in den Schulbüchern des „Ständestaates“ wird das Bemühen um die Verankerung einer österreichischen Identität fassbar. In den Erstlesebüchern erscheinen „Österreich-Seiten“; in den Abschlussklassen der Mittelschulen wird das Fach Vaterlandskunde eingeführt. Das Regime greift dabei auf die Symbolik der Monarchie zurück. Nach der NS-Zeit knüpft die Zweite Republik an das Österreich-Bewusstsein von ehedem (unter nunmehr demokratischen Bedingungen) an.

Autoren: Stefan Karner und Lorenz Mikoletzky, 2008 (wissenschaftliche Ausstellungsleitung)

Der Rest ist Österreich. Geschichte der Republik - Dokumentation zur Ausstellung im Nordico. Museum der Stadt Linz vom 3. Februar-18. April 2010