Neue Staaten
entstehen

Das „Völkermanifest“
Mit seinem Manifest An meine Völker versucht Kaiser Karl I. am 16. Oktober 1918 ein letztes Mal, den nationalen, zentrifugalen Bestrebungen der Nationalitäten der Monarchie ein föderalistisches Konzept entgegenzusetzen. Die österreichische Reichshälfte solle „dem Willen seiner Völker gemäß, zu einem Bundesstaat werden, in dem jeder Volksstamm aus seinem eigenen Siedlungsgebiet sein eigenes staatliches Gemeinwesen bildet“. Doch der Versuch Kaiser Karls I. scheitert. Es existiert bereits ein tschechischer Exil-„Nationalrat“; die Südslawen sind dabei, ihren eigenen Staat der Slowenen, Kroaten und Serben (SHS) zu gründen, den knapp zwei Monate später der serbische Regent Alexander in sein Königreich SHS einverleibt; Galizien spaltet sich ab. Auch der Staat Deutschösterreich wird gebildet.

Provisorische Nationalversammlung
Am 21. Oktober 1918 konstituieren sich die Abgeordneten der deutschsprachigen Wahlkreise im Niederösterreichischen Landhaus in Wien als „Provisorische Nationalversammlung für Deutschösterreich“, das als neuer, selbstständiger Staat gebildet werden soll. Die Versammlung beansprucht sämtliche deutschsprachige Gebiete der Monarchie. Aus Wahlen soll eine Konstituante hervorgehen und in der Folge eine Verfassung ausarbeiten. Franz Dinghofer (Großdeutscher), Jodok Fink (Christlichsozialer) und Karl Seitz (Sozialdemokrat) werden zu Präsidenten der Versammlung gewählt.

Die Länder
Am 22. Oktober 1918 erklären die Landesausschüsse als „Vertreter der autonomen Landesverwaltungen“ ihre Bereitschaft, „beim Neuaufbau des neuen Staatswesens mitzuwirken“. Die Beziehung zur Zentralgewalt erweist sich jedoch als fragil: Die Länder misstrauen Wien und entwickeln eine starke separatistische Dynamik. Daher ersucht sie der Vollzugsausschuss der Nationalversammlung, ihre Zugehörigkeit zum neuen Staatsgebiet zu deklarieren. Schon bald entwickelt sich der Gegensatz „schwarze“ Länder – „rotes Wien“, der die Republik noch lange prägen wird. Die Verfassung von 1920 sieht mit dem Bundesrat eine eigene Ländervertretung vor.

Staatsgründung
Die Sitzung der Nationalversammlung am 30. Oktober 1918 ist der eigentliche Staatsgründungsakt. Sie beschließt den Umfang des beanspruchten Staatsgebietes und die „grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt“ – kurz, das „Grundgesetz“ des neuen Staates. Oberste Gewalt und Gesetzgebung werden allein der Nationalversammlung zuerkannt, die Regierungs- und Vollzugsgewalt dem aus ihr hervorgehenden Staatsrat. Damit werden das demokratische und das republikanische Prinzip festgelegt. Doch nun gibt es zwei Staatsgewalten – die monarchische und die republikanische.

Das Ende der Monarchie
Der k. k. Ministerpräsident Heinrich Lammasch und Vertreter Deutschösterreichs bewegen Kaiser Karl I. am 11. November 1918 zum Verzicht „auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften“. Die jahrhundertelange Herrschaft der Habsburger ist zu Ende.
Karl begibt sich mit seiner Familie nach Eckartsau im Marchfeld und verlässt im März 1919 Österreich. In Feldkirch widerruft er seinen Verzicht in einem Schreiben an den Papst und einige Staatsoberhäupter. Er unternimmt zwei Restaurationsversuche in Ungarn, die jedoch scheitern.

Feldkirchner Manifest, 24. März 1919

„Die willkürlich zusammengesetzte Volksvertretung eines Staates ohne Grenzen hat sich angemaßt, über Staatsform und Einordnung in ein größeres Staatensystem für einen völkerrechtlich noch nicht bestehenden Staat zu entscheiden. Was die deutschösterreichische Regierung, provisorische und konstituierende Nationalversammlung seit dem 11. November 1918 […] verfügt haben […] ist demnach für Mich und Mein Haus null und nichtig. […] So verlasse Ich Deutschösterreich.“

Sigmund Freud, 11. November 1918

„Österreich-Ungarn ist nicht mehr. Anderswo möchte ich nicht leben. Emigration kommt für mich nicht in Frage. Ich werde mit dem Torso weiterleben und mir einbilden, daß er das Ganze ist.“

Autoren: Stefan Karner und Lorenz Mikoletzky, 2008 (wissenschaftliche Ausstellungsleitung)

 

Der Rest ist Österreich. Geschichte der Republik - Dokumentation zur Ausstellung im Nordico. Museum der Stadt Linz vom 3. Februar-18. April 2010