Die Gründung
der Republik

Die österreichisch-ungarische Monarchie ist zerbrochen, der Kaiser hat auf die Staatsgeschäfte verzichtet und seine Regierung entlassen. Auf dem Gebiet der ehemaligen Monarchie sind neue Staaten entstanden – zuletzt die Republik Deutschösterreich. Die politische Bühne wird nun von Parteien, der Nationalversammlung und dem Staatsrat beherrscht. Die österreichischen Kernländer erklären ihren Beitritt zur Republik und bilden eine tragende Säule des Staates. Grenzen, Verfassung, Wirtschaft, soziale Fürsorge, Militär, Kultur – allesamt Bereiche, die es neu zu ordnen gilt. Man schafft es. Aber ist Österreich politisch und wirtschaftlich existenzfähig? Viele zweifeln daran.

12. November 1918
Der Gründungsakt der jungen Republik Deutschösterreich verläuft zunächst festlich: allgemeine Arbeitsruhe, erste Sitzung der Nationalversammlung, Ansprachen und Verlesung des Gesetzes über die Staats- und Regierungsform von der Parlamentsrampe, feierliche Aufmärsche und Massenzug über die Ringstraße. Doch sehr schnell gerät das Fest zu einem Kampf vor dem Parlament: Die rot-weiß-rote Flagge wird durch eine rote, kommunistische ersetzt. Tumulte, Zusammenstöße, Schüsse. Die Kommunisten wollen eine Räteherrschaft nach russischem Vorbild. Zwei Tote und Dutzende Verletzte liegen auf den Stufen des Parlaments.

Das erste Gesetz
Das Gesetz vom 12. November 1918 über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich erklärt das Land zur demokratischen Republik und gleichzeitig zum Bestandteil der vier Tage zuvor ausgerufenen Deutschen Republik. Es beseitigt alle politischen Privilegien sowie jene des Adels und entbindet Beamte, Offiziere und Soldaten vom kaiserlichen Treueeid. Die ersten allgemeinen und gleichen Wahlen werden angekündigt.

Gründer der Republik: Präsidenten und Staatskanzler
Die „Gründer der Republik“ kommen aus den drei großen politischen Lagern, deren führende Parteien gemeinsam den neuen Staat mitbegründen. Sie bilden im Staatsrat ab 30. Oktober 1918 eine Konzentrationsregierung. An seiner Spitze stehen die drei Präsidenten der Provisorischen Nationalversammlung: Der Deutschnationale Franz Dinghofer, der Christlichsoziale Prälat Johann Nepomuk Hauser und der Sozialdemokrat Karl Seitz gehören gemeinsam mit dem Staatskanzler Karl Renner (Sozialdemokrat) zu den führenden Politikern dieser schwierigen Umbruchszeit. Der neue Staat muss erst zu seinen Grundlagen finden. Eine der wichtigsten Aufgaben ist die Durchführung der ersten Wahlen.

Karl Renner

geb. 1870 in Untertannowitz/Dolní Dunajovice, heute Tschechische Republik, gest. 1950 in Wien

geb. 1870 in Untertannowitz/Dolní Dunajovice, heute Tschechische Republik, gest. 1950 in Wien
Der Jurist gehört seit 1907 als Sozialdemokrat dem Reichsrat an. Als Staatskanzler unterzeichnet er 1919 den Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye. Von 1931 bis 1933 ist er Erster Nationalratspräsident. 1934 wird Renner aus politischen Gründen vorübergehend inhaftiert. Während des „Ständestaates“ und der Zeit des Nationalsozialismus verhält er sich – bis auf die öffentliche Befürwortung des „Anschlusses“ 1938 – politisch inaktiv. 1945 von den Sowjets mit der Regierungsbildung betraut, wird Renner abermals Staatskanzler und zu Jahresende 1945 von der Bundesversammlung zum ersten Bundespräsidenten der Zweiten Republik gewählt. Renner stirbt zu Silvester 1950.

Franz Dinghofer

geb. 1873 in Ottensheim in Oberösterreich, gest. 1956 in Wien

geb. 1873 in Ottensheim in Oberösterreich, gest. 1956 in Wien
Der Deutschnationale ist Bürgermeister von Linz (1907–1918) und seit 1911 Reichsratsabgeordneter. Dinghofer leitet am 12. November 1918 die Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung. Er ist von 1919 bis 1926 Dritter Präsident der Nationalversammlung bzw. des Nationalrats und wird 1920 Obmann der Großdeutschen Volkspartei. Von 1926 bis 1928 gehört Dinghofer als Vizekanzler bzw. Justizminister der Regierung Seipel an. 1928 wird er Präsident des Obersten Gerichtshofs und 1938 in dieser Funktion pensioniert.

Johann Nepomuk Hauser

geb. 1866 in Kopfing in Oberösterreich, gest. 1927 in Linz

geb. 1866 in Kopfing in Oberösterreich, gest. 1927 in Linz
Der römisch-katholische Priester und Christlichsoziale gehört seit 1908 dem Reichsrat an, ist bis zu seinem Tod Abgeordneter der Nationalversammlung bzw. des Nationalrats und gleichzeitig auch Landeshauptmann von Oberösterreich. Von 1918 bis 1920 führt er als interimistischer Obmann die Christlichsoziale Partei und ist Zweiter Präsident der konstituierenden Nationalversammlung. Hauser steht für eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten.

Karl Seitz

geb. 1869 in Wien, gest. 1950 in Wien

geb. 1869 in Wien, gest. 1950 in Wien
Der Lehrer und Sozialdemokrat gehört seit 1901 dem Reichsrat an. 1918 ist Seitz Erster Präsident der konstituierenden Nationalversammlung und damit de facto bis 1920 erstes Staatsoberhaupt der jungen Republik. Er bleibt bis 1934 Abgeordneter zum Nationalrat und amtiert gleichzeitig als Wiener Bürgermeister (1923–1934). 1934 und 1938 wird Seitz aus politischen Gründen inhaftiert, 1944/45 im Konzentrationslager interniert. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist er wieder Abgeordneter zum Nationalrat (1945–1950).

Staat ohne Grenzen
1918/19 sind die Grenzen Deutschösterreichs noch nicht festgelegt. Die Provisorische Nationalversammlung pocht auf das von US-Präsident Woodrow Wilson formulierte „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ und beansprucht „die Gebietshoheit über das geschlossene Siedlungsgebiet der Deutschen innerhalb der im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder“. Dies sind 118.311 Quadratkilometer mit 10,37 Millionen Einwohnern. Der Vertrag von Saint-Germain-en-Laye legt 1919 endgültig die Grenzen des österreichischen Staates fest.

Autoren: Stefan Karner und Lorenz Mikoletzky, 2008 (wissenschaftliche Ausstellungsleitung)

Der Rest ist Österreich. Geschichte der Republik - Dokumentation zur Ausstellung im Nordico. Museum der Stadt Linz vom 3. Februar-18. April 2010