Das Schulwesen
1918–2008

Aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen bleiben Änderungen im Schulwesen lange Zeit nur mit einem breiten Konsens möglich – und so prägen Kompromisse die Schulpolitik der letzten 90 Jahre. Nur während des „Ständestaates“ von 1934 bis 1938 verwirklichen die Christlichsozialen ihre Vorstellungen im Alleingang. Zwischen 1938 und 1945 wird die Schule für die NS-Ideologie missbraucht. In der Zweiten Republik verändern sich über einen langen Zeitraum die Positionen der Großparteien in den wesentlichen Fragen kaum. Seit 2005 sind für Schulgesetze nur noch einfache Mehrheiten im Nationalrat nötig.

Otto Glöckel, 1927

„Neue Menschen brauchen wir, die mit Klugheit, Tatkraft und Idealismus eine neue, bessere Welt aufbauen!“

Die Schule der Republik
Die neue Staatsform der Republik ist Ausgangspunkt für eine tief greifende Schulreform auf allen Ebenen: neue Schulorganisation, Lehrinhalte und Unterrichtsmethoden. 1927 erzielen Christlichsoziale und Sozialdemokraten trotz ideologischer Differenzen in der Neuordnung des Pflichtschulwesens einen Kompromiss, der im Prinzip bis heute Gültigkeit hat. Mit der Schaffung der Hauptschule sehen die Sozialdemokraten die Gesamtschule im Ansatz verwirklicht. Otto Glöckel, damals sozialdemokratischer Stadtschulratspräsident von Wien, spricht von einem „Sieg der Sache“, den Christlichsozialen bleibe der „Sieg des Namens“.

Die Ersetzung der Bürgerschule durch die vierstufige Hauptschule ist die wichtigste bildungspolitische Maßnahme der Ersten Republik. Der Großteil der 10- bis 14-Jährigen soll nach der vierjährigen Volksschule die Hauptschule (mit zwei Klassenzügen) besuchen. Die Lehrpläne von Haupt- und Mittelschule sind inhaltlich weitgehend deckungsgleich, was den Wechsel von einem Schultyp in den anderen ermöglichen und eine ähnliche Ausbildung der Schüler bis zum Ende der Schulpflicht gewährleisten soll.

Frontalvortrag, reines Auswendiglernen und strenge Disziplin haben bisher den Schulalltag geprägt. Nun fließen neue Erkenntnisse aus Pädagogik und Psychologie in die Unterrichtsgestaltung ein: Die kindgerechte Vermittlung des Lernstoffes und die Förderung des schöpferischen Potenzials der Schüler stehen im Vordergrund. Die Schüler erarbeiten sich den Stoff möglichst selbst – daher die Bezeichnung „Arbeitsschule“. Erfahrungswissen und Lebenswelt des Schülers werden in den Unterricht einbezogen.

Lehrinhalte werden schrittweise auf die parlamentarische Demokratie ausgerichtet. Die „Schule der Republik“ soll republikanisch-demokratisch gesinnte Menschen heranbilden. Dabei wird Demokratie mit Begriffen wie Heimat und Bodenständigkeit in Verbindung gebracht. Neue Schulbücher aus Fachgebieten wie Geschichte, Geografie und Deutsch unterstützen diesen Weg – und das möglichst „habsburgfrei“. Ein Zeichen der Demokratisierung der Schule ist auch die Einbindung der Eltern in Schulfragen über Elternvereine.

Schule im „Ständestaat“
Im autoritären „Ständestaat“ wird die Schulgesetzgebung von sozialdemokratischen Inhalten und Positionen „gesäubert“; ausgenommen ist lediglich die Lehrerausbildung. Diese erfolgt in Anlehnung an die Ideen Glöckels ab 1937 an Pädagogischen Akademien. Es kommt zu politisch motivierten Entlassungen. Formal ändert sich die Schulstruktur von 1927 nicht, doch werden die Leistungsanforderungen erhöht und ein Wechsel zwischen Haupt- und Mittelschule ist nunmehr faktisch unmöglich. Der Einfluss der katholischen Kirche in der Schule wird wieder gestärkt.

Schulen sind wichtige Trägermedien für die Österreich-Ideologie des „Ständestaates“. Die Erziehung soll im „vaterländisch-österreichischen“ Sinn auf christlicher Grundlage erfolgen. Das bedeutet die klare Abgrenzung von Hitler-Deutschland und das Bekenntnis zur Unabhängigkeit Österreichs. Seinen stärksten Niederschlag findet das Österreich-Pathos in Fächern wie Deutsch und Geschichte. Im Turnunterricht für Burschen findet in den höheren Schulstufen eine vormilitärische Ausbildung statt.

Schule im Nationalsozialismus
In der NS-Zeit bleibt die Schulorganisation weitgehend erhalten; nur die 1937 geschaffenen Pädagogischen Akademien werden aufgelöst. Doch personell und inhaltlich erfolgt ein radikaler Bruch: Lehrbücher und Lehrpersonal werden ideologisch gleichgeschaltet, Kritiker entlassen. Jüdische Lehrer verlieren die Lehrbefugnis, jüdische Schüler werden in eigenen Schulen konzentriert. In Wien sind davon 15.000 Schüler, in ganz Österreich über 2300 Lehrer betroffen.

Der „neue, nationalsozialistische Mensch“ soll geformt werden: Der Lehrstoff ist in praktisch allen Gegenständen von NS-Ideologie geprägt. Insbesondere in Biologie, Geschichte und Geografie werden rassenbiologische Theorien vermittelt. Der Status der „Leibeserziehung“ wird massiv aufgewertet – zur Heranbildung des „soldatischen Mannes“ und der „deutschen Mutter“. Der Religionsunterricht ist nur mehr unverbindlich. Schule und Hitlerjugend sollen die Jugend „zum vollen Einsatz für Führer und Volk“ bereitmachen.

Schule ab 1945
Nach dem Zweiten Weltkrieg und der NS-Zeit muss das Schulwesen wieder aufgebaut werden. Die Konzentrationsregierung orientiert sich an den Lehrplänen von 1928. Die schulpolitischen Vorstellungen der Parteien knüpfen an die Erste Republik an. Nach jahrelangen Verhandlungen wird mit dem Schulgesetzwerk von 1962 eine Einigung erzielt. Gute Ausbildung wird als Voraussetzung für rasches Wirtschaftswachstum gesehen. Die Diskussion um die Gesamtschule bleibt weiterhin aktuell.

1945 liegt das Schulwesen in Trümmern: zerstörte Schulgebäude, Schulbuchmangel, zu wenige Lehrer. Dennoch gelingt es innerhalb eines Jahrzehnts, ein leistungsfähiges Schulwesen aufzubauen. 1962 kommt die Verlängerung der Schulpflicht auf neuen Jahre, das Schulgeld wird abgeschafft. Zur Verringerung des Bildungsgefälles zwischen Stadt und Land werden zusätzliche Hauptschulen und höhere Schulen eingerichtet. Das Motto von Unterrichtsminister Theodor Piffl-Perčević – „Jedem Bezirk sein Gymnasium“ – bringt die Entwicklung auf den Punkt.

Trotz des seit 1962 unentgeltlichen Schulbesuches sind Kinder von Arbeitern und Bauern in höheren Schulen nur unterdurchschnittlich vertreten. In den 1970er Jahren führt die SPÖ zur Erleichterung des Bildungszugangs Schülerfreifahrt, kostenlose Schulbücher und Schülerbeihilfen ein. Die Durchlässigkeit zwischen den Schultypen wird erhöht, Gesamtschule und Ganztagsschule werden erprobt. Insgesamt wird das Lernen kindgerechter gestaltet, das Lehrer-Schüler-Verhältnis humaner, die Mitsprache der Eltern gefördert.

Autoren: Stefan Karner und Lorenz Mikoletzky, 2008 (wissenschaftliche Ausstellungsleitung)

Der Rest ist Österreich. Geschichte der Republik - Dokumentation zur Ausstellung im Nordico. Museum der Stadt Linz vom 3. Februar-18. April 2010