Adventkränze haben keine sehr lange Geschichte. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden sie im protestantischen Norden Deutschlands eingeführt. Im Alpenraum bürgerte sich dieser Brauch erst Mitte des 20. Jahrhunderts ein, zuerst in den Städten und dann sehr zögernd auch auf dem Land. Als Erfinder gilt der spätere Begründer der Inneren Mission, der Hamburger Erzieher und Theologe Johann Hinrich Wichern, der im so genannten Rauhen Haus bei Hamburg, einem bis heute bestehenden Waisenhaus, im Jahre 1839 den Brauch einführte, einen Kranz mit Lichtern zu besetzen – für jeden Sonntag eine große weiße, für jeden Wochentag eine kleine rote Kerze. Diese Adventlichter sollten an den biblischen Vergleich Christi mit dem großen Licht anknüpfen und die andächtige Erwartung seines Erscheinens fördern.
Dem Hamburger Vorbild folgend ging die Verbreitung des Lichterkranzes zunächst von den Gemeindehäusern, Kinderheimen und Schulen des protestantischen Nordens aus. Einen Verbreitungsschub erfuhr der Adventkranz im Zuge der "Lichter-Romantik" der deutschen Jugendbewegung und auch durch die neuheidnische Jul- und Lichterfest-Propaganda der Nationalsozialisten. In Süddeutschland und Österreich wurde der Brauch erst nach 1930 übernommen und hat sich erst nach dem zweiten Weltkrieg allgemein durchgesetzt. Der Brauch ist inzwischen in viele andere Länder übertragen worden.
Der Brauch des Adventkranzes ähnelte in den Anfängen den Bräuchen beim jüdischen Chanukkafest, bei dem auf dem Chanukkaleuchter von Tag zu Tag jeweils eine Kerze mehr angezündet wird. Seit etwa 1860 wird der Kranz mit Tannengrün geschmückt, seit Anfang des 20. Jahrhunderts gehört die Festlegung auf vier Kerzen für die vier Adventsonntage zum Adventbrauchtum. Im ostkirchlichen Bereich finden sich freilich Kränze mit sechs Kerzen, entsprechend der dort wie früher auch bei uns viel längeren, nämlich vierzigtägigen oder sechswöchigen Adventzeit. Dass der Advent ursprünglich wie die vierzigtägige Fastenzeit vor Ostern auch eine vierzigtägige, dann auf vier Wochen bzw. Sonntage verkürzte Fastenzeit vor dem Weihnachtsfest sein sollte, ist im Zuge des geschäftlichen Weihnachtsrummels und Punschstandldenkens ganz aus dem Bewusstsein verschwunden. Die Geschäftswelt hat allerdings diese Vorweihnachtszeit inzwischen längst wieder verlängert, und dies auf weit mehr als vierzig Tage. Denn gleich nach Allerheiligen, wenn der neumodische Halloween-Kitsch vorbei ist, beginnt in allen Einkaufszentren und Flaniermeilen der Weihnachtskitsch.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 25. November 2006.