Kartoffeln

Die Kartoffeln kommen aus Amerika und verdienen einen Ehrenplatz in der Geschichte Europas. Ihre Nutzung begann vor gut 200 Jahren. Schon die vielen Namen belegen die komplizierte Verbreitungsgeschichte: Kartoffeln, Tartuffeln, Erdtrüffeln dort, Erdäpfel oder Erdbirnen da, Bramburi in Böhmen nach dem benachbarten Brandenburg und Krumpir in Ungarn nach dem im Burgenland üblichen Namen „Grundbirnen“.

Die Österreicher wurden nur langsam zu Kartoffelessern, in den vielen Kriegen des 18. Jahrhunderts. Dass der Bayerische Erbfolge- krieg, der mit dem Anfall des Innviertels an Österreich endete, im Volksmund scherzhaft als „Kartoffelkrieg“ belächelt wurde, mag davon herrühren, dass dieser Herbstkrieg nicht länger dauerte als die paar Wochen der Kartoffelernte. Aber in der Not der damaligen Kriege waren die Kartoffeln die Rettung, und das war im Ersten und Zweiten Weltkrieg nicht anders. „In der Zeit der Not sollen Kartoffeln tunlichst nur in der Schale gekocht verwendet werden“, empfahl Franz Ruhm in seinem Nachkriegskochbuch „133 Kochrezepte für 1946“. 1946 hat ein erwachsener Mann in Wien durchschnittlich 143 kg Kartoffeln pro Jahr gegessen, 1985 nur mehr 23,6 kg. Die Anbaufläche für Kartoffeln in Österreich ist von 1945 bis 2005 von mehr als 200000 ha auf weniger als ein Zehntel gesunken.

Von Montag bis Samstag achtzehnmal das Gleiche, dreimal täglich Kartoffeln, in der Schale, als Brei oder mit Salz, das schien ein unentrinnbares Arbeiterschicksal. Goethe, der auf der feudalen Seite des Tisches saß, reimte 1814: „Morgens rund, mittags gestampft, abends in Scheiben, dabei soll's bleiben, es ist gesund“, ein Spruch, der in vielen Abwandlungen existiert: „Kartoffeln in der Früh, zu Mittag in der Brüh, zu Abend im ganzen Kleid, Kartoffeln in Ewigkeit.“ So einseitig und eintönig auf der einen Seite, so variantenreich auf der anderen Seite ist die Kartoffelküche.

Die Kartoffeln waren die großen Verlierer des Wirtschaftswachstums. Als inferiore Güter, die bei steigendem Wohlstand nicht nur relativ, sondern auch absolut an Bedeutung einbüßen, bezeichnen sie die Ökonomen. Aber die Kartoffeln sind weiterhin beliebt. Zahlreiche Zubereitungsarten konnten ihnen den Geruch der Arme-Leute-Nahrung nehmen. Als Pommes frites und Chips, als tief gefrorene Kroketten und getrocknetes Pürree passten sich der veränderten Lebenswelt an, als Fertigprodukt für die schnelle Küche und als Grundprodukt für die modernen Fast Food-Ketten.

Roman Sandgruber

Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 17. September 2005, 33.