Treppen

Die Treppe ist eine der ältesten menschlichen Erfindungen. Eigentlich ist die Idee sehr einfach. Und doch ist schon die älteste erhaltene Holzstiege Europas, die im Jahr 2004 im Hallstätter Salzberg entdeckt wurde und auf ein Alter von genau 3349 Jahren datiert werden konnte, von einer erstaunlichen technischen Raffinesse.

Treppenbaukunst „auf höchster Stufe“ ist bis Ende Juni im Lignorama, diesem höchst aktiven, von der Firma Leitz betriebenen Museum des Holzes in Riedau zu bewundern: Jugendstiltreppen und Barockstiegen, Treppengeländer und Treppeninstallationen, berühmte Treppen und einfache Stiegen und vor allem die Holztreppen von Willibald Mannes, der als der „Treppenpapst“ der Moderne gilt.

Der vielfältigen Symbolik der Treppe hat schon Sigmund Freud in der Traumdeutung erstaunliche Aufmerksamkeit gewidmet, vom am Geländer Hinabrutschen bis zum rhythmischen Steigen der Stufen. Der sexuelle Bezug von „Steiger“ und „Nachsteigen“ wird in die Bewegung des Stiegensteigens übersetzt, wobei Freud wohl mehr an die Dumpfheit und Dunkelheit der Kellerstiegen und Hinterhäuser gedacht hat als an die Prunkstiegen der Paläste.

Die Treppe ist das Symbol der Macht. Sie hat Stufen und kennzeichnet Positionen: Von oben herab wird der Gast begrüßt und empfangen, von unten muss er sich nähern und erkennt gleich Machtfülle, Rang und Wohlstand seines Gastgebers. Treppen waren ideal geeignet, Hierarchien zu verdeutlichen und Rangunterschiede zum Ausdruck zu bringen. Das wusste das Barock am besten, das die berühmtesten Stiegenhäuser geschaffen hat, in Klöstern und Schlössern, ob in Würzburg, St. Florian oder Göttweig, die im Extremfall, wenn dem Bauherrn das Geld ausgegangen war, auch formvollendet im Nichts enden konnten. Ehrfurchtsvoll nähert man sich den Zentren der Macht, des Wissens und der Kunst, ob auf der Philosophenstiege der Wiener Universität, der Prunkstiege der Wiener Staatsoper oder im Oberösterreichischen Landesmuseum, das eigentlich nur aus einem riesigen Stiegenhaus besteht. Und selbst der breite Stiegenaufgang zum neuen Landesdienstleistungszentrum ist geeignet, Respekt vor der dahinter beheimateten Bürokratenmacht zu schaffen.

Moderne Architekten schenken den Treppen und Stiegenhäusern ja nur mehr selten Aufmerksamkeit. Man ist auch nicht mehr so hierarchisch orientiert. Mit dem Aufzug ist die Treppe zur Fluchtstiege verkommen. Da ist man froh, wenn man in einer schönen Ausstellung an die Ästhetik und Bedeutung der Treppen erinnert wird.

Roman Sandgruber

Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 20. Mai 2006