Der Rauchfangkehrer

Manchmal kommen sie einem etwas aufdringlich vor, die Rauchfangkehrer, die man ein ganzes Jahr kaum sieht, außer auf der Rechnung, die dann und wann ins Haus flattert. Und zu Silvester erscheinen sie plötzlich als Glücksbringer, so schwarz wie sie gar nicht mehr sind, in natura und en miniature, aus Marzipan, Schokolade oder Pappmachee. Wie und warum Schornsteinfeger und Kaminkehrer zum Glücksbringer geworden sind, ist nicht so leicht erklärt. Zu simpel wäre es, dies einfach mit ihrer Nützlichkeit und besonderen Bedeutung für die Sicherheit des Hauses und für eine möglichst abgasfreie Verbrennung zu erklären. Denn nützlich sind in Wahrheit alle oder fast alle menschlichen Berufe und Betätigungen. Da ragen die Rauchfangkehrer nicht wirklich heraus. Am Altjahrstag gingen sie früher von Haus zu Haus, wünschten ein Gutes Neues Jahr und kassierten so nebenbei auch das Kehrgeld für das vergangene Jahr. Aber auch das war kein Alleinstellungsmerkmal. Denn früher war es üblich, fast alle Rechnungen nicht sofort, sondern erst zu Jahresende zu begleichen, beim Störschneider und Schuster ebenso wie beim Wagner, Schmied oder Glasermeister, und sich dabei auch gebührend zu beglückwünschen.

Es musste schon mehr sein. Tief sitzende abergläubische Vorstellungen, die sich auf den Rauch und Ruß beziehen, dürften den Rauchfangkehrern zu ihrem Ansehen verholfen haben. Durch den Schornstein oder die Rauchlucke verließ den alten Vorstellungen gemäß die Seele das Haus. Der Schornstein galt im Aberglauben als der Aufenthaltsort der Geister und Dämonen. Hexen und Kobolde fliegen durch den Schornstein, mancherorts auch der Nikolaus oder das Christkind. Der nach oben ragende Schornstein verbindet zwei Welten, Erde und Himmel. Dem Blick in den Kamin wurden einst magische und zauberische Kräfte zugeschrieben. Man hoffte, damit die Zukunft sehen und beschwören zu können. Sieht ein Mädchen in der Neujahrsnacht in den Schornstein, so erblickt es seinen Bräutigam, sieht man von oben durch den Schornstein, sieht man, wer im nächsten Jahr sterben wird oder erfährt überhaupt das Schicksal des Neuen Jahres.

Das offene Feuer war einst das Zentrum des gesamten Hauses. Die frühen Haus- und Volkszählungen wurden als Feuerstättenzählungen bezeichnet. Heutzutage, wo in den meisten Häusern gar kein Feuer mehr brennt und die Wärme vom Fernkraftwerk kommt oder eine Gas- oder Ölflamme mehr oder weniger versteckt eine Zentralheizung speist, hat der Schornstein seine zentrale Bedeutung verloren und nur der kleine Glücksbringer erinnert an die wichtige Rolle, die das Feuer für die menschliche Kultur immer noch einnimmt.

Roman Sandgruber

Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 30. Dezember 2006