Die österreichische Parteienlandschaft wird immer bunter. Von Regenbogenkoalitionen war in jüngster Zeit viel die Rede: Rote, Blaue, Grüne, Orange, Schwarze, und jetzt auch noch Weiße. Unter „Weiß Wählen“ hat man bislang freilich etwas ganz anderes verstanden, nämlich den leeren Stimmzettel abgeben. Gewiss, für Hans Peter Martin ist neben den vom Nationalsozialismus diskreditierten Farben Braun oder Gelb nicht mehr viel Auswahl geblieben. Weiß war einst die Farbe der Royalisten und Konservativen, auch der Antisemiten und der frühen Christlichsozialen. Auch Blau hat viele Schattierungen. Es war im Mittelalter die Farbe Mariens und stand symbolhaft für Reinheit und Unberührtheit. Die Romantik verpackte in die „Blaue Blume“ ihre Träume. Daraus holte der aufkeimende Nationalismus seine Ideen. Die Kornblume wurde zur Lieblingsblume Bismarcks und Blau zur Farbe der Deutschnationalen.
Orange gilt als Komplementärfarbe zu Blau. Das passt ganz gut in unsere Parteikonstellationen. Aber Blau ist auch die Farbe der übernationalen Organisationen EU und UNO und ihrer „Blauhelme“, ob in Anknüpfung an die traditionelle Marienfarbe, was bei der EU durch den Kranz der zwölf goldenen Sterne ja recht plausibel wäre, oder als Farbe des Friedens. Blau ist auch die Farbe des Zionismus. Und mit Blick auf die USA gerät unsere Farbwelt überhaupt aus den Fugen. Da sind die „Roten“ die Republikaner, die Partei von George Bush, und die „Blauen“ die Demokraten. Im 19. Jahrhundert waren die „Blaustrümpfe“ die radikalen Vorkämpferinnen der Frauenemanzipation. Und Schiller nannte den Teufel den „höllischen Blaustrumpf“. Blaues Blut, das „Sangre Azul“, nahmen die aristokratischen Familien Spaniens für sich in Anspruch. Ihre „edle Blässe“ aus westgotischer Herkunft oder nordeuropäischer Verwandtschaft ließ ihre blauen Adern viel stärker durchschimmern als bei den viel dunkelhäutigeren Unterschichten des Landes.
Bis zum Aufkommen der synthetischen Farbstoffe war die Farbe keine Frage des Geschmacks, sondern eine Frage des Geldes. Im Gegensatz zu Rot war Blau eine billige Farbe: blaue Hosen, blaue Schürzen, blaue Overalls waren und sind die Arbeitskleider. Neben dem teuren Indigo gab es auch den einheimischen und viel billigeren Färberwaid. Um daraus den Farbstoff zu gewinnen, wurde er mit Urin versetzt. Die alten Handbücher empfahlen den Färbern, entsprechend viel Alkohol zu trinken, damit mit dem vielen Urin viel blaue Farbe erzeugt werden konnte. Jedem rauschigen „blauen“ Sonntag folgte dann ein entsprechend trüber „blauer Montag“.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 9. September 2006, 35.