Man findet sie noch auf den Tischen mancher Restaurants, diese kleinen Dingerchen, die genauso häufig für nervöse Spielereien wie für notwendige mundhygienische Bedürfnisse verwendet werden, auch wenn es längst nicht mehr als fein gilt, mit solch hölzernen oder neuerdings auch aus Kunststoff gefertigten Spießchen bei Tisch in den Zähnen herumzuarbeiten. Wann die Zahnstocher erfunden wurden, weiß man nicht so genau. Leidenschaftlichen Zahnstocherhistorikern, wie dem skurill-schrulligen Sammler und Zahnarzt Hans Sachs, der 1913 eine Kulturgeschichte des Zahnstochers verfasste und der eine umfangreiche Sammlung von Zahnstochern besaß, mochte es im Eifer der Forschung gelingen, in jedem prähistorischen Stichel ein Instrument zum Reinigen der Zähne zu erkennen. Zumindest im spätantiken Rom dürften allerdings Zahnstocher mit einiger Sicherheit bereits bekannt gewesen sein. Schriftsteller jener Zeit, die sich mit den kleinen Toilettefragen der schönen Frauen beschäftigten, berichten uns, dass diese sich die Zähne mit zerriebenem Marmor putzten und mit Zahnstochern aus Mastixholz von Speiseresten reinigten. Der Tyrann Agathokles von Syrakus soll mit einem vergifteten Zahnstocher ermordet worden sein. Und der römische Satiriker Petronius beschreibt im „Gastmahl des Trimalchio“ einen silbernen Zahnstocher, den der Gastgeber benutzte.
Auch fürstliche Schatzkammern aus der frühen Neuzeit verwahren wertvolle Zahnstocher, die an seidenen Bändern um den Hals getragen wurden. Für einen galanten Kavalier des 18. Jahrhunderts gab es mehrere Dinge, die er unbedingt bei sich zu haben hatte: eine Tabaksdose, eine Taschenuhr, einen Stock, einen Zahnstocher... Auf das Stochern in den Zähnen wird in den im 18. Jahrhundert sehr verbreiteten Frauenalmanachen und Lexika immer wieder eingegangen. Nicht dass es als solches unschicklich gewesen sei, einen Zahnstocher in der Öffentlichkeit zu benützen. Als unfein galt nur das Weitergeben eines bereits gebrauchten Gerätes: „Dass man einen Zahnstocher, womit uns ein anderer ausgeholfen, ihm nicht, wenn wir ihn gebraucht haben, wieder zurückgeben dürfe“, mahnte der berühmte Freiherr von Knigge in seiner Anstandslehre. In der ländlichen Gesellschaft fehlten zwar die goldenen Zahnstocher: Aber man stocherte die Zähne mit Strohhalmen aus, erinnert sich Peter Rosegger an eine der häufigsten bäuerlichen Abendbeschäftigungen, „nach Feierabend und nach einer mehr oder weniger reichlichen Mahlzeit.“ Und aus den Schreibfedern Zahnstocher zu schnitzen, soll eine beliebte Beschäftigung der Beamten gewesen sein, solange die Federkiele nicht durch Bleistifte und Kugelschreiber ersetzt waren.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 6. Oktober 2007, 37.