Was war das einst für eine Kinderfreude: das rote Nikolosackerl, voll mit Äpfeln, gedörrten Zwetschken und getrockneten Feigen. Feigen passen in die Adventszeit. Denn die Feige ist die erste Pflanze, die von der Menschheit landwirtschaftlich und kulturell genutzt wurde. Im Paradies stand, wenn überhaupt, so kein Apfelbaum, sondern ein Feigenbaum. Und Eva hätte sicher keinen Apfel, wohl aber eine Feige pflücken können. Das bestätigen neueste archäologische Funde von etwa 11400 Jahre alten Überresten getrockneter Feigen, die in einem Haus einer jungsteinzeitlichen Siedlung im heutigen Westjordanland ausgegraben wurden. Veredelte Feigenbäume, die einzig die süßen Früchte liefern, können nur durch Zucht und über Stecklinge vermehrt werden. Daher ist ihre zivilisatorische Nutzung so sicher nachzuweisen. Das muss schon vor etwa 11400 Jahren erfolgt sein. Die Feige wäre damit als Kulturpflanze mindestens 1000 Jahre älter als die ersten Getreidegräser und rund 5000 Jahre älter als Weintrauben, Oliven oder Datteln. Mit Feigenblättern, und da könnten die Bibel und mit ihr zahllose Bildhauer und Maler durchaus recht haben, hätten die aus dem Paradies vertriebenen Adam und Eva sehr wohl ihre Scham bedecken können.
Wegen ihres frühen Wertes als Lebensmittel erlangte die Feige entsprechend große symbolische Bedeutung. Das graphische Kürzel, das wir als Herz verstehen, meinte ursprünglich eine Feige. Auch das Herz im Kartenspiel ist so eine Feige, passend zu Eichel und Blatt. Seit alters symbolisiert die Feige die Fruchtbarkeit, die im Bild der weiblichen Scham konkretisiert wurde. Dass die Feige, die in der Form des Herzens so hohe Dinge wie Liebe und Glück darstellt, auch zum Symbol der Unkeuschheit, „Feigheit“ und Falschheit abgewertet wurde, liegt in der Sexualfeindschaft früherer Zeiten, wobei die zufällige Wortähnlichkeit mit dem deutschen Wort „feige“ in der Bedeutung von furchtsam und zage, aber auch frech und geil zur weiteren Abwertung beitrug.
Die Vorstellung von der Feige als Symbol der Faulheit und Unkeuschheit verfestigte sich zum Inbegriff einer obszönen Geste, der „mano in fica“ oder Feigenhand, bei der der Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt wird. Die „fica“ oder Feige prägte ein Vulgärwort für den Geschlechtsverkehr und wurde als Herzerl auch auf das stillste Örtchen gezeichnet. „Mit der Feig´n hausieren“ gilt in Wien als volkstümlicher Ausdruck für Prostitution, und ein Schürzenjäger ist ein „Feigen-Tandler“. So ist die älteste Kulturpflanze zugleich Ausdruck für höchste Herzensgefühle und niedrigste Begierden geworden.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 2. Dezember 2006