Schispringen

Österreich ist eine Schisprunggroßmacht. Aber entstanden ist das Skispringen in Norwegen. Aus dem Jahr 1808 datiert die erste Weitenmessung. Dem norwegischen Leutnant Olaf Rye gelang damals über einen künstlich aufgeworfenen Schneehügel ein Sprung von 9,5 Metern. Der wohl berühmteste Springer des 19. Jahrhunderts war Sondre Auverson Nordheim, ein Zimmermann und Skibauer aus dem Telemarker Dorf Morgedahl. Sein im Jahr 1860 erreichter Weitenrekord von 30,5 Metern hielt mehrere Jahrzehnte. Der erste jährlich ausgetragene Skisprungbewerb fand ab 1879 auf dem Osloer Husebybakken statt. 1892 übersiedelte der Wettkampf auf den seither weltberühmten Holmenkollen. 1893 fand auch in Österreich die erste Konkurrenz statt, anlässlich der Winterspiele in Mürzzuschlag. Gesprungen wurde über einen verschneiten Misthaufen. Den Sieg mit einer Weite von 6 Metern erzielte der in Wien arbeitende norwegische Bäckerlehrling Bismarck Samson. 1936 gab es durch den Österreicher Sepp Bradl den ersten Sprung über 100 Meter. Der erste gestandene Flug über 200 Meter gelang 1994 Toni Nieminen. Andreas Goldberger erreichte schon vorher diese Weite, allerdings in einem nicht gewerteten Sprung. Der derzeitige Weitenrekord liegt bei 239 Meter. Den Damenweltrekord hält mit 206 Metern die Österreicherin Daniela Iraschko. Aber wer kennt diese schon?

Schispringen ist eine der letzten fast reinen Männerbastionen geblieben, inklusive der Sportreporter, die im Fernsehen die Erfolge der Adler auf den Schanzen kommentieren. Das war nicht immer so. Schon vor dem Ersten Weltkrieg waren österreichische Frauen im Schispringen erfolgreich und berühmt. Die Gräfin Paula Lamberg erreichte 1911 in Kitzbühel bei Schisprungbewerben Weiten bis zu 28 Metern. In Skandinavien erhielt sie den Namen „die schwebende Gräfin“. Die öffentliche Wahrnehmung von Frauen im Schisprung ist aber nach 1918 völlig abgebrochen, obwohl Frauen auch weiterhin in den erzielten Weiten kaum hinter den Männern zurückblieben. Bei der Vierschanzentournee und anderen Sprungbewerben gewährt man ihnen bestenfalls die Rolle von Vorspringerinnen. Es dominiert die Meinung, dass dies kein Sport für Frauen sei, obwohl geringeres Körpergewicht und leichterer Körperbau nicht ungünstige Voraussetzungen böten und auch die Gefährlichkeit kaum ein Argument darstellt: Der alpine Abfahrtslauf steht diesbezüglich sicher nicht zurück. Aber weder im ORF und seiner Reporterrekrutierung noch bei den Veranstaltern und Trainern und folglich auch nicht bei den Zuschauern konnte der Frauenschisprung bislang nennenswerte Akzeptanz finden.

Roman Sandgruber

Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 19. Jänner 2008