Stempel sind Dinge, die beim gelernten Österreicher vielerlei Assoziationen wecken: Amtskappel und Formulare, Besatzungszeit und Behördendschungel, Bürokratie und Amtsschimmel. Herrschaft und Autorität sind angesprochen, wenn mit Stempeln hantiert wird. Der Stempel gehört zu den Insignien der Macht. Der, der den Stempel betätigt, ist aber meist kein wirklich Mächtiger, sondern ein Stellvertreter, so wie auch der Stempel ein Stellvertreter ist. Er steht für die Machthaber und ihr Zeichen. Er verleiht Ohnmächtigen, die selber unter Umständen kaum lesen und schreiben können, höchste Autorität. Sprichwörtlich geworden sind die Stempel auf den Identitätskarten und Passierscheinen der Besatzungszeit, wo von den häufig des Lesens unkundigen russischen Besatzungssoldaten meist nur nachgezählt wurde, ob alle vier Stempel vorhanden sind.
In der heutigen Bedeutung ist das Wort Stempel erst seit dem 18. Jahrhundert gebräuchlich, in Österreich noch mit einer Zusatzbedeutung in Form des „Stempeln Gehens“, das in dieser Form erst in den 1970er Jahren abgeschafft wurde. In Wahrheit aber geht es um ein uraltes Grundprinzip der Reproduktion, Kommunikation und Vervielfachung. Schon die alten Babylonier stempelten Tontäfelchen und Keramik. Mit Stempeln fertigte man im Mittelalter Blaudrucke und sonstige Textilmuster. Gestempelt wurden Messer und Sensen, Ziegel und Tonwaren, Urkunden und Briefe. In den 1860er Jahren wurde der Gummistempel erfunden. Heute sind Stempel ein Produkt der Hochtechnologie.
Und Oberösterreich beherbergt mit der 1951 in Wels begründeten Trodat den weltweit führenden Stempelerzeuger. Grund genug, einmal das Museum der Stempel und Siegel in Wels zu besuchen. Dieses Museum ist einzigartig und in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: ein originelles Thema, eine Privatinitiative eines erfolgreichen oberösterreichischen Unternehmers und die Visitenkarte eines der dynamischsten Industrieunternehmen des Landes. Ingeborg Müller-Just, die Tochter des Firmen- und Museumsgründers Dkfm. Walter Just, führt uns durch die Dauerausstellung, die auf einer Fläche von ca. 650 m2 rund 300 Exponate präsentiert: Siegel, Stempel und alles was dazugehört. Von der Wiege bis zur Bahre, Formulare, Formulare ... Der Amtsschimmel, der ja mit dem Pferd überhaupt nichts zu tun hat, sondern sich vom „Simile“, dem lateinischen Wort für Formular, herleitet, wiehert in Wels nicht, sondern zeigt sich in diesem „Lebensspuren-Museum“ von seiner zuvorkommendsten und lebendigsten Seite.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 17. Juni 2006, 33.
Anmerkung der Redaktion: Das lebensspuren.museum in Wels ist mittlerweile geschlossen und kann leider nicht mehr besichtigt werden.