Damenschokolade

Alle lieben Schokolade. Das wird auch durch das große Interesse an der derzeit laufenden Schokoladen- ausstellung des Oberösterreichischen Landesmuseums wieder unter Beweis gestellt. Es gibt zwar noch keine Analyse, wer die Besucher sind und ob unter den „virtuellen“ Genießern dieser Götterspeise ebenfalls so viel mehr Frauen als Männer sind wie unter den realen. Denn man weiß: die Schokolade ist, mit einem Modewort ausgedrückt, „gegendert“. Die Marktforschung sagt uns, dass es neben den Kindern, die den Löwenanteil verbrauchen, die Frauen sind, die vornehmlich Schokolade konsumieren: um die Hälfte mehr als die Männer.

Das war nicht immer so: Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert war Schokolade ein teures, exklusives Genussmittel, dessen Konsum weitgehend auf die höfische Gesellschaft beschränkt war. Was sie keineswegs war, war ein Frühstücksgetränk für Kinder. Die Welt der Schokolade war eine exklusiv erwachsene und da auch eine durchaus männliche. Literarische und bildliche Darstellungen von Liebesmahlzeiten und Liebestränken, ob im Wirtshaus, im Chambre séparée, im Schlafzimmer oder im Frühstücksraum, beziehen sich besonders in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts immer wieder auf das Schokoladetrinken. Die Schokolade galt als stärkend, in der Fastenzeit ebenso wie vor dem Geschlechtsverkehr. Der angeblich größte aller Liebhaber, Giacomo Casanova, soll stets eine Schokoladenkanne mit sich geführt haben. Aber auch die Geistlichkeit wird immer wieder unter den Schokoladenliebhabern angeführt.

Im frühen 19. Jahrhundert erlebte die als so erotisierend und stärkend eingestufte Schokolade einen dramatischen Imageverlust. Erst nach 1880 begann ein neuerlicher Anstieg des Schokoladenkonsums, nunmehr allerdings nicht als Getränk, sondern als Näscherei für Kinder und Frauen. Feste, zu denen man diese mit Schokolade und Pralinen beschenkte, wurden immer populärer, vom Nikolo- und das Weihnachtsfest bis zum Mutter- und Valentinstag.

Für Männer erfolgte eine neuerliche Durchsetzung über einen klassisch männlich definierten Raum, das Militär. Ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde Schokolade als Notration in immer mehr Armeen eingeführt und als „Herrenschokolade“ auf den Markt gebracht. Aber die Frauendominanz blieb weiter bestehen. Aus der Besatzungszeit erinnert man sich noch an die „chocolate-girls“ als Bezeichnung für jene jungen Frauen, die Beziehungen zu den amerikanischen Soldaten unterhielten und dafür mit kleinen Luxusgütern verwöhnt wurden. Dass nunmehr neuerdings auch die Männer immer mehr zur Schokolade greifen, kommt in den neuen Kreationen der gefeierten, meist männlichen Schokolademacher zum Ausdruck, die mit völlig ungewohnten, eher „männlichen“ Geschmacksrichtungen von Chili und Weihrauch bis Räucherschinken und Obstmost in extravaganten Preisklassen auf den Markt kommen.

Roman Sandgruber

Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 13. Oktober 2007, 38.