Der so sehr ins Gewalttätige ausgeartete und missbrauchte Karikaturenstreit hat einen prinzipiellen Hintergrund: die Angst, dass sich der Mensch Gott als Götze nach seinem eigenen Ebenbild schaffe. „Du sollst dir kein Gottesbild machen, keinerlei Abbild“, befiehlt die Bibel. Dieses Bilderverbot kennzeichnet ursprünglich alle drei monotheistischen Religionen, das Judentum, das Christentum und den Islam. Das Christentum hat das Bilderverbot weitgehend vergessen. Katholische Kirchen sind ohne Bilder nicht vorstellbar. Evangelische Kirchen verzichten zwar meist auf Heiligenbilder und zwinglianische und calvinische Kirchen sind in ihrer Ablehnung der Bilder noch deutlich rigoroser.
Generell war im Christentum das Bilderverbot seit dem 4. Jahrhundert immer mehr gelockert worden. Die Doppelnatur Christi als Mensch und Gott erlaube es, ja erzwinge es sogar, den Menschen Christus darzustellen, lautete die Begründung. In Konstantinopel wurde darüber im 8. Jahrhundert eine in blutige Verfolgungen mündende Auseinandersetzung geführt: der so genannte Bilderstreit. Die Reformatoren griffen nach der Bilderflut der spätmittelalterlichen Kirchen diese Auseinandersetzung wieder auf. 1527 tobte zum Beispiel der Bildersturm in Steyr, als die Wiedertäufer die Steyrer Stadtpfarrkirche weitgehend leer räumten. Auch der berühmte „Sacco di Roma“ im Jahre 1527 war ja nicht nur eine gewalttätige Plünderung der heiligen Stadt, sondern auch ein Bildersturm durch deutsche Landsknechte, von denen viele wahrscheinlich reformatorisch gesinnt waren.
Mit dem Ende des christlichen Bilderverbots in der Spätantike begann die Suche nach dem wahren Bild Christi und dem wirklichen Aussehen Gottes. Da half das so genannte Schweißtuch der Veronika, der angebliche Gesichtsabdruck Christi: Der Name der heiligen Veronika, auf Griechisch „Siegbringerin“, wurde im Lateinischen umgedeutet auf: „verum ikon“, die, die mit ihrem Schweißtuchabdruck das „wahre Bild“ Gottes habe. Was wir haben, ist aber bei weitem kein wahres Bild Gottes, sondern ein höchst verzerrtes, nämlich das eines Gottes, der eindeutig männlich ist: Das „wahre Bild“ Christi präsentiert sich als Bild eines bärtigen Mannes, und „Gott Vater“ wird auf allen Dreifaltigkeitsbildern als alter Mann mit wallendem Bart dargestellt.
Als Dante am Ende der Göttlichen Komödie das Bild Christi wenigstens andeutungsweise erkennen kann, erkennt er darin „unser Bildnis“. Ein patriarchalisch-männerdominiertes Weltbild können wir inzwischen weder in der Gesellschaft noch in der Kirche akzeptieren. Es wird daher an der Zeit, auch bei uns das Bilderverbot wieder ernster zu nehmen, nicht nur aus Respekt vor anderen Religionen, die das tun, sondern auch im Sinne einer auch bei uns von falschen Vorstellungen befreiten Religion.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 11. März 2006