Heuschrecken

„Heuschrecken“ sind zum Modewort des österreichischen Politikjargons geworden. Wie die biblischen Plagen würden diese Ausgeburten der Globalisierung über die Kapitalmärkte herfallen, quer über alle Meere und unberechenbar wie die mittelalterlichen Insektenschwärme. Das bezieht sich auf riesige Massen orientalischer Wanderheuschrecken, die 1338 zur Erntezeit und in den nächsten Jahren wiederkehrend auftauchen. Kaiser Karl IV., im Juli dieses Jahres zu Besuch bei seinem Schwager, dem Habsburger Otto dem Fröhlichen, schildert in seiner Autobiographie, wie er eines Tages geweckt wurde: „Herr, steht auf, der jüngste Tag bricht an, denn die ganze Welt ist voller Heuschrecken.“ Es war wie dichtes Schneegestöber, die Sonne verfinstert, riesige Schwärme, tosender Lärm, aufdringlicher Gestank. Auch im 15. Jahrhundert kamen die Heuschrecken immer wieder, wie die Inschrift am Gottesplagenbild des Grazer Doms anschaulich vor Augen führt: „1480 umb unser Frauentag ... sind hie zu Graz Gotsplag drei gewesen: Haberschreck, Türken und Pestilenz, und jede so groß, dass dem Menschen unerhörlich ist. Gott sei uns gnädig.“ Auch das Waidhofener Plagenbild, eines der zentralen Objekte der diesjährigen niederösterreichischen Landesausstellung zum Thema Erde in St. Peter in der Au, zeigt die Plagen, von denen die Gegend um Waidhofen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts heimgesucht wurde: Pest, Türken, riesige Vogelschwärme und Heuschrecken.

Ausgelöst wurde die moderne „Heuschreckendebatte“ im Jahre 2005 vom damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering mit der Rede von „verantwortungslosen Heuschreckenschwärmen, die im Vierteljahrestakt Substanz absaugen und Unternehmen kaputtgehen lassen, wenn sie sie abgefressen haben.“ Die ganze Debatte ist wenig hilfreich, von Münteferings Heuschreckenvergleich bis zu Michael Wolffsohns als Konter gedachtem Nazivergleich. Anzunehmen, Finanzinvestoren würden den Wert von Unternehmen systematisch zerstören, um anschließend ihre Beteiligung mit Gewinn realisieren zu können, ist ja reichlich unlogisch. Und überall gleich die Faschismus-Keule zu schwingen, die den Heuschrecken-Vergleich mit der nationalsozialistischen Diktion von „Judenschweinen“ gleich stellt, die als „Plage“ vernichtet oder „ausgerottet“ werden müssten, macht die Sache wahrlich nicht besser. Alle derartigen Vergleiche hinken, auch wenn manche mit CVC eher ein Pflanzenschutzmittel als einen internationalen Investor assoziieren mögen und man mit Cerberus, dem drei- oder gar fünfzigköpfigen Höllenhund, mit bestem Willen nicht den Eindruck eines kuscheligen Haustiers verbinden kann.

Roman Sandgruber

Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 21. April 2007, 38.