Den Schuhen auf der Spur ist das Oberösterreichische Landesmuseum in einer neuen, schönen Ausstellung. Mehr als 200 Schuhe aus der eigenen Sammlung machen deutlich, welchen Fußabdruck die Geschichte des Menschen der Erde hinterlassen hat. Nicht nur die Höhe der Absätze oder die Form der Schuhspitzen, sondern die Verwendung von Schuhen insgesamt veränderte das „Auftreten“ der Menschen: Die Spur der Schuhe zieht sich von den Schnabelschuhen und Kuhmäulern des Spätmittelalters über die frühneu- zeitlichen Stelzenschuhe und ersten Stöckelschuhe bis zu den chinesischen Lotusschuhen und den Mokassins amerikanischer Ureinwohner.
Thekla Weissengruber, die sich so liebevoll und engagiert um die Textilsammlungen des Landesmuseums kümmert, zeigt mir einige Highlights der Sammlung: die chinesische Lilienschuhe, so klein, dass die Füße der Trägerinnen von Kindheit an durch Bandagierungen so verformt werden mussten, dass es ihnen kaum mehr möglich war, überhaupt noch zu gehen. Wie heißt es doch bei Aschenputtel, der weltweit am weitesten verbreiteten Schuhgeschichte: „Hau den Zeh ab … hau ein Stück von der Ferse ab! Wenn du Königin bist, brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen.“ Ein Paar Mühlviertler Kinderschuhe erzählen eine ganz andere Geschichte: Schuhe waren etwas, das die Armeleutekinder gar nicht hatten oder mit dem so sparsam umgegangen werden musste, dass man sie erst vor der Kirchentür anzog und den ganzen weiten Weg zur Kirche und Schule barfuß mit den Schuhen in der Hand zurücklegte. Was in der Sammlung des Landesmuseums noch fehlt, sind die Militärschuhe, deren Spur sich in das 20. Jahrhundert so nachhaltig eingeprägt hat. Und bald wird man Turnschuhe dazustellen müssen, die die moderne Gesellschaft so sehr beherrschen wie einst die Bundschuhe und Stiefel.
Lothar Schultes, der renommierte Kenner der mittelalterlichen Kunstgeschichte, geht mit mir die paar Schritte vom Schlossmuseum bis zur Martinskirche. Wir betrachten dort die berühmte Freskodarstellung der hl. Kümmernis, eine als Frau missdeuteter Christus, der im langen weißen Kleid und mit goldenen Schuhen ans Kreuz geschlagen ist. Die Kümmernis trägt nur einen Schuh, der andere liegt am Boden, quasi als Geschenk für den armen Geiger, der ihr zu Füßen musiziert. Der wahre Sinn ist ein anderer. Schuhe waren einst Zeichen der Göttlichkeit. Und Monosandalismus, d. h. nur einen Schuh zu tragen, kennzeichnete in vielen Mythen jene, die sich zwischen dem Irdischen und dem Göttlichen bewegten. Heute ist der Schuh längst Massenprodukt und nichts Göttliches mehr. Aber in guten Schuhen zu gehen, kann noch immer göttlich sein.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 22. April 2006