Diesen Sommer wurde im steirischen Salzkammergut ein Sensationsfund gemacht: ein 3200 Jahre alter, 41 Zentimeter langer Schlüssel aus der Bronzezeit, der, wie seine Position in der Erde verrät, nicht schlicht verloren, sondern in magischer Absicht vergraben worden sein dürfte. Schlüssel haben etwas Heiliges an sich: Sie schützen das Allerheiligste, heute bloß das Hab und Gut, einst den ganzen Bereich des Göttlichen. Der babylonische Gott Schamasch und der römische Gott Janus wurden mit Schlüsseln dargestellt. Babylonische, ägyptische, griechische und römische Priesterinnen und Priester besaßen die Schlüssel zu Tempeln und Schatzkammern. Bis zu einem halben Meter lange Torschlüssel auf ihren Schultern sollten ihre geistliche Macht symbolisieren. So war es nur folgerichtig, dass es sich schon in der Spätantike, anknüpfend an die bekannte Stelle im Matthäus-Evangelium, einbürgerte, den Apostel Petrus mit einem, zwei oder sogar drei Schlüsseln zu kennzeichnen.
Schlüssel gewannen eine weit über den Bereich von Besitz hinausgehende Symbolik der Herrschaft über die Natur und ihre Bewe-gungsgesetze: Von den Schlüsseln, die zur Bekämpfung der Tollwut, der Fraisen und der Epilepsie eingesetzt wurden, bis zum kühlenden Schlüssel, den man bei Nasenbluten Kindern auflegt, kennt das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens eine nicht enden wollende Liste abergläubischer und volksmedizinischer Praktiken.
Dass ein Haus abgeschlossen und versperrt ist, ist für uns selbstverständlich: Das Schloss war einst ein für normal Sterbliche nicht erreichbares Haus.
Häuser werden „schlüsselfertig“ geliefert. Das Haus ist nur sicher, wenn man es verschließt. Das kann durch Zauberformeln und drohende Masken geschehen, durch Pfähle und Markierungen, durch Zäune und Riegel, durch Schlösser und elektronisch gesteuerte Sperren. Mit dem Schloss gewinnt der Mensch die Möglichkeit, Besitz und Habe zeitweilig verlassen zu können und sie dem Schutz eines Dinges anzuvertrauen.
Es war ein ständiger Wettlauf zwischen Schlüssel und Nachschlüssel, zwischen Original und Kopie. Die Diebe und Einbrecher wurden umso geschickter, je komplizierter die Schlösser wurden. Verursachten die Schlösser die Diebe oder die Diebe die Schlösser? Einen Schlüssel zu verlieren, ist immer unangenehm. Es kann zur Verzweiflung treiben, wenn er verlegt oder gar verloren ist. Je sicherer das Schloss, umso entsetzlicher ist die Situation. Wie sagt doch Wilhelm Busch: „Das Schlüsselloch wird leicht vermisst,/ Wenn man es sucht, wo es nicht ist.“
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 3. September 2005, 34.