Glühbirnen

Zu Mariä Lichtmess kommt noch einmal die weihnachtliche Lichtsymbolik mit Lichterprozession und Kerzenweihe zur Geltung. Lichtmess schließt den Weihnachtsfestkreis und weckt die Hoffnung auf den Frühling. Zu der Zeit im Jahr, wo die Nächte am längsten sind, schätzte man einst das Licht am meisten. Doch heute, angesichts der Fülle an künstlicher Beleuchtung, die es überall gibt, kann man die Schrecken der Finsternis gar nicht mehr verstehen und sucht in den Kerzen mehr den heimeligen Duft, den sie verbreiten, als das bisschen Licht, das sie bieten...

Es gibt heute kaum mehr bewohnte Flecken, die nicht weit über die Abenddämmerung hinaus künstlich ausgeleuchtet werden. Schon aus vielen Kilometern Entfernung zeigen die Lichterhimmel die nahende Großstadt an. Überall Festbeleuchtung: das Glitzern der Ölraffinerien, das Blinken der Rundfunk- und Fernsehtürme, die hell erleuchteten Stadtautobahnen, die Peitschenmasten an den Peripherien, die nostalgischen Laternen und neongestylten Gebäude in den Zentren. Die Welt und ihre Städte sind zum Lichtermeer geworden.
Die Zähmung des Lichts ist die wohl größte Errungenschaft des Menschen: das begann im Umgang mit dem Feuer, der von vielen Ethnologen als die entscheidende Schwelle zur Menschwerdung angesehen wird, und führte zur Glühbirne, die im Rahmen heute so beliebter Rankings in der ewigen Weltbestenliste menschlicher Erfindungen an der ersten Stelle erscheint.

Mit der Kohlenfadenglühlampe, die von Thomas A. Edison und Joseph Swan unabhängig von einander in Amerika und England 1879 entwickelt worden war, begann der große Zauber des Lichts und die „Entzauberung“ der Welt. Edison war ein genialer Innovator, der aus einer Erfindung ein ganzes System machte, vom E-Werk bis zum Verbraucher, mit Leitungen, Transformatoren und Stromzählern, und, um die Akzeptanz zu erleichtern, angelehnt an die damals schon geläufigen Usancen beim Gaslicht, mit den Drehschaltern und den wie in eine Gasröhre einschraubbaren Glühbirnen.

Das erste elektrische Licht war mit seiner Bequemlichkeit, Sauberkeit und Lichtfülle für alle ein einschneidendes Erlebnis, auch wenn es anfangs eine sehr teure Bequemlichkeit war. Dem Zauber des elektrischen Lichts konnte sich kaum jemand entziehen, weder berühmte Leute noch einfache Menschen: „Die Leute fühlten sich in den Himmel versetzt!“ Die Erde wurde hell wie der Himmel. Die dunklen Stellen auf der Erde sind selten geworden. Das hat der Welt viel von ihren Schrecken genommen. Aber auch Licht kann zum Schrecken werden, so dass wir uns immer wieder auch nach der Heimeligkeit und Gemütlichkeit des alten Lebens im Kerzen- und Feuerschein zurücksehnen.

Roman Sandgruber

Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 28. Jänner 2006