Nichts scheint banaler und mag sich als Thema einer historischen Betrachtung provokanter darstellen als die Geschichte der Unterhose. Unterhosen waren einstmals so tabuisiert, dass man sie nicht einmal zu benennen wagte. Sprach man im 18. Jahrhundert von Beinkleidern, so war im 19. Jahrhundert fast nur noch von den „Unaussprechlichen“ die Rede.
Unterhosen im heutigen Sinn kannte man bis ins 18. Jahrhundert gar nicht, und als sie eingeführt wurden, gab es sie bei Männern früher als bei Frauen. Denn Verwendung fanden sie zuerst beim Militär. Der Begründer der Wiener Sozialhygiene Johann Peter Frank empfahl in seinem 1783 veröffentlichten „System einer vollständigen medicinischen Polizey“ für die Kleidung der kaiserlichen Armee unter den weißen Uniformhosen eine leinene Unterhose. Auch in Krankenhäusern begann man im frühen 19. Jahrhundert den Männern Unterhosen zu geben, den Frauen hingegen noch nicht.
Während es also für Männer im 19. Jahrhundert zunehmend üblicher wurde, aus hygienischen Gründen ihrem Hosenkostüm eine Unterziehhose hinzuzufügen, bedeutete die Unterhose für das weibliche Geschlecht eine wahre Revolution. Noch im 18. Jahrhundert galten Frauen, die Unterhosen, d. h. Hosen unter dem Rock trugen, als unanständige, ja als geradezu schamlose Personen, während man heute wohl eher vom Gegenteil ausgehen würde.
Als dem berühmt-berüchtigten Liebhaber Giacomo Casanova bei einer seiner vielen Kutschenreisen durch ganz Europa ein sicher nicht ganz zufälliger Blick unter den Rock einer der mitreisenden Damen glückte und er dabei durch eine Hose vor weiteren Einblicken gehindert wurde, war er höchst indigniert, nicht weil der nimmermüde Schwerenöter nicht zu dem erwünschten Anblick kam, sondern aus moralischer Entrüstung über die Ungehörigkeit des Hosentragens bei Frauen.
Mit denselben Argumenten, mit denen Unterhosen für Männer empfohlen wurden, mit gesundheitlichen, sittlichen und die Sexualität dämpfenden Überlegungen, wurden sie für Frauen kritisiert. Für Frauen waren statt Unterhosen Unterröcke die angemessene Unterkleidung. Es dauerte bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts, bis sich die Frauenunterhose in allen Schichten und Trachtengebieten durchgesetzt hatte. Trugen Frauen im 19. Jahrhundert Unterhosen, so mussten sie im Schritt offen und geschlitzt sein, um zumindest die Andeutung eines Rockes zu vermitteln. Erst im späten 19. Jahrhundert begannen bürgerliche Damen geschlossene Unterhosen zu tragen. Im ländlichen Bereich setzten sie sich erst allmählich durch. Und nur allmählich hat die Unterhose den Weg vom Liebestöter zum fetischartigen und miniaturisierten Ziel höchster sexueller Begierden genommen.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 13. August 2005, 30.