Birne

Passend zur Niederösterreichischen Landesausstellung „Feuer und Erde“, die heuer das Mostviertel ins Zentrum des österreichischen Kulturgeschehens rückt, wurde in Ardagger ein Mostbirnenhaus eröffnet: eine ganze Erlebniswelt rund um die Birne und den Most. Das Mostviertel ist ja ein Birnenviertel. Nach der letzten Eiszeit ist die Birne hier heimisch geworden. Birnen sind ein alter Kulturbegleiter. Schon Homer berichtet von ihnen. Sehr rasch haben die Menschen sehr viele Sorten herausgezüchtet. Theophrast erwähnt drei, Cato fünf bis sechs und Plinius bereits 38 Birnensorten. Im 17. Jahrhundert kannte man an die 300 Sorten, im 19. Jahrhundert schon an die 1000. Die heutige Anzahl der Sorten in Alter und Neuer Welt wird auf mehr als 5000 geschätzt.

Das Wort „Pira“ wurde im 8. Jahrhundert aus dem Lateinischen ins Althochdeutsche übernommen. Den Hofnamen „Pirnbaumer“ gab es im Mostviertel schon um 1200. Und dem niederösterreichischen Minnesänger Neidhart von Reuenthal verdanken wir aus dieser Zeit die erste Erwähnung eines Krugs Birnenmost: von der Liebsten gereicht, gab er seiner Kehle die Stimme wieder. Maria Theresia förderte 1763 die Anpflanzung von Streuobstbäumen: einen Baum pflanzen, ein Haus bauen, einen Sohn zeugen: das war die Aufgabe jedes Jungvermählten. Joseph II. schuf zusätzliche Anreize: für mehr als 100 gepflanzte Obstbäume gab es eine Medaille. Entlang der Straßen entstanden lange Obstbaumzeilen. Vor dem Zweiten Weltkrieg zählte man im Bezirk Amstetten etwa eine Million Obstbäume, davon zwei Drittel Birnbäume. Seither ist es zu einer Reduktion um 60 Prozent gekommen. Jetzt nimmt man sich der Bäume und des Mostes wieder an, prämiiert die edelsten Möste und kürt eine Mostprinzessin und einen Mostbaron. Verleihen die Oberösterreicher den Mostdipf, so promovieren die Niederösterreicher statt des Dr. hc den Dr. hm, den „Dr. honoris mosticus“.

Ein solcher wird wohl nicht nur ein ausgewiesener Mostkenner sein, sondern muss wohl auch eine „helle Birn“ haben. Eine große oder „harte Birn“ hingegen kennzeichnet einen Sturschädel, während eine „rote Birne“ für Hitzköpfigkeit und eine „weiche“ für eine etwas zu große Behäbigkeit herhalten muss. Der französische Karikaturist Charles Philipon ist im Vormärz für seine Metamorphose des Bürger-Königs Louis-Philippe (1830-1848) in eine Birne berühmt geworden. Auch der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl ist immer wieder von seiner Figur her mit einer Birne verglichen worden. Hat Oberösterreich seine Mostschädel, so sind es im Mostviertel, und nicht nur dort, die Birnplutzer: So treffen sich oberöster- reichische Most- und niederösterreichische Birnschädel bei einem Getränk, das längst keine Rabiatperle mehr ist, sondern eine köstliche Erfrischung, die sich anschickt, höchste kulinarische Anerkennung zu erringen.

Roman Sandgruber

Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 12. Mai 2007, 42.