Die Urlaubszeit lässt so manchen stress- und etikettegeplagten Manager mit einem Anflug von Bartstoppeln nachhause kommen. Das ist kein Zufall. Der Bart ist ein Zeichen für Freiheit, aber auch für Männlichkeit und erwachsen Werden. Dass so viel Aufwand betrieben wird, dieses Signal regelmäßig und sorgfältig zu entfernen, muss eine tiefgehende Bedeutung haben. Dass das griechische „Barbaroi“, im Wortsinn „unverständlich Sprechende“, lautgleich mit dem lateinischen „barba“ für Bart war, passte gut, um unzivilisierte Bartträger von der eigenen bartlosen Kultur zu unterscheiden. Bartlosigkeit bedeutete für die Römer Zivilisation, Bärtigkeit hingegen Wildheit und Außenseitertum. Glatt rasiert sind auch, mit Ausnahme einzelner asketischer Mönchsorden und im Unterschied zu den verheirateten Geistlichen der orthodoxen Kirche, die katholischen Priester. Offensichtlich bestand eine deutliche zeitliche Übereinstimmung zwischen der Einführung des Zölibats in der westlichen Kirche und der Verpflichtung der Geistlichen zu einem bartlosen Gesicht. Papst Gregors VII. drohte damals den Geistlichen sogar mit Waffengewalt, um dieses äußere Zeichen der Unterwerfung unter die Kirchendisziplin durchzusetzen.
Räuber und Aufrührer tragen Bart: ob der slowakische Räuberhauptmann Janošik, ob Oleska Dovbush in den Karpaten, der Schinderhannes im Rheinland, Fidel Castro und Che Guevara in Lateinamerika oder Andreas Hofer in Tirol, den die Italiener General Barbone zu nennen pflegten. Noch in den 1950er Jahren führte es zu einem kleinen Skandal in Tirol, als Max Weiler in seinen Fresken für den Innsbrucker Hauptbahnhof den Tiroler Freiheitshelden ohne Bart darstellte. Und auch der Autor der oberöster- reichischen Landeshymne Franz Stelzhamer, in jeder Hinsicht ein unangepasster Mensch und Sympathisant der Revolution, ist für uns nur als langbärtiger Rübezahl vorstellbar. Erst als die Revolutionäre von 1848 ihre Karrieren gemacht hatten und aus ihnen liberale Professoren, Künstler und Beamte geworden waren, waren ihre Bärte tolerabel. Als sich selbst der Kaiser einen immer länger werdenden Bart zulegte, wurden Bärte beim Militär sogar zur Pflicht erklärt. Das Giftgas des Ersten Weltkriegs setzte dem ein rasches Ende: Für Gasmasken waren Bärte hinderlich. So stellte sich die militärische und bald auch zivile Tradition des 20. Jahrhunderts bartlos dar. Nur mehr ansatzweise ist der Bart ein Signal geblieben, um Männlichkeit und Freiheit zu demonstrieren, in den Stoppelbärten der Alt-68er und in der Freiheit des Urlaubs, in der ein Bart sprießen kann, der kurz vor Arbeitsantritt oder nach einem einmaligen Vorzeigen rasch wieder abgenommen wird.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 15. September 2007, 37.