Es war ein nachhaltiger Eindruck, als mir ein aus einer oberösterreichischen Tischlerdynastie stammender Student das Auftragsbuch seines Urgroßvaters zeigte: ein abgewetztes Heft, voll mit Bestellungen für Särge, jeweils mit detaillierten Skizzen und genauen Maßangaben, die meisten zwischen 50 und 70 cm lang: Kindersärge! Noch fast die Hälfte aller Begräbnisse im 19. Jahrhundert waren Kinderbegräbnisse. Welch ein Eindruck auch der Besuch in der Wiener Kaisergruft: der monumentale, übergroße Zinnsarg für Maria Theresia und ihren Gemahl Franz Stephan, und daneben, fast zu Füßen, der schlichte, unverzierte Sarg für Kaiser Joseph II.
Särge haben zwar eine sehr weit zurückliegende Geschichte: die prunkvollen Sarkophage, zu deutsch „Fleischfresser“, in ägyptischen, griechischen, römischen oder mittelalterlichen Grüften sind Denkmäler von höchstem kunst- und kulturgeschichtlichem Wert. Doch in einem Sarg bestattet zu werden, und sei es auch nur im einfachsten Holzsarg, konnten sich bis ins 18. Jahrhundert nur wenige leisten. Um die Toten anlässlich der Beerdigung vor der Erdberührung zu schützen, wurden sie in Leinentücher oder Säcke gesteckt und nur für die Dauer der Bestattungszeremonie in einen mit einem Bahrtuch bedeckten Sarg gebettet. Erst Anfang des 17. Jahrhunderts wurde der Holzsarg bei Erdbestattungen allgemein gebräuchlich.
Um die begrenzten Friedhofskapazitäten besser auszunützen, aber auch um den Holzverbrauch einzuschränken, versuchte man, die Verwendung von Särgen zu beschränken oder gänzlich zu verbieten. Joseph II. ordnete daher 1784 den Gebrauch so genannter „Spar“- oder „Klappsärge“ an. Die Leiche wurde in einem wieder verwendbaren Holzsarg zum Friedhof gebracht. Über das offene Grab gestellt, wurde der Boden des Sargs nach unten geklappt, die Leiche in die Grube gesenkt und der leere Sarg wieder in die Kirche zurück gebracht. Der Widerstand der Öffentlichkeit war riesengroß. Die Verordnung musste ein Jahr später zurückgenommen werden. Aber Arme wurden auch weiterhin ohne Sarg bestattet. Erst mit Hofdekret vom 29. Mai 1825 wurde verfügt, dass jede Leiche in einem verschlossenen Sarg zur Erde gebracht werden muss und in einem Schachtgrab nicht mehr als zehn Spitalleichen ohne Särge bestattet werden dürfen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde keine Beerdigung mehr ohne Sarg durchgeführt und in der 1874 erlassenen Begräbnisordnung für den Wiener Zentralfriedhof festgelegt, dass die Leichen in Särgen aus Holz oder Metall zu bestatten seien.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 28. Oktober 2006, 37.