Oberösterreich ist ein Mostland. Das Maskottchen der Oberösterreichischen Nachrichten, der „Mostdipf“, ist zum Inbegriff des gemütlichen Oberösterreichers geworden. Aber gewiss ist es beim Mosttrinken bisweilen auch recht hitzig und ungemütlich zugegangen, so dass der Mundartdichter Franz Hönig nicht ganz zu Unrecht den Oberösterreichern zu der halb liebenswürdig, halb kritisch gemeinten Charakterisierung von den Mostschädeln verholfen hat. Franz Brunner meinte dazu: „... drum haben uns scho öfta oa Mostschädl g‘nennt / de Armen haben sicher des Trankl net kennt!“ Schon im 18. Jahrhundert hat Maurus Lindemayr, der Begründer der oberösterreichischen Dialektdichtung, mit seinem Volksstück „Der versoffene Hans“, der sich beim Most hat „valaunt und valost“, diesem Getränk ein liebenswürdiges dichterisches Denkmal gesetzt. Das schönste Lob des Mosts aber hat Franz Hönig formuliert: „Dös beste Getränk, wann i wiadawöll denk, wann i nur a wen´g kost, is allweil der Most.“
Die mächtigsten Bauernhöfe Oberösterreichs stehen in den Mostgegenden: „Diese Häuser hat der Most gebaut!“ Diese Redensart wird verständlich, wenn man weiß, wie sehr früher die Bauernhöfe dort, wo der Most zur höchsten Qualität gepflegt wird, und das waren die Vierkanterregionen, vom Ertrag dieser Mostwirtschaft profitiert haben. „A Mosthaus - a guats Haus“, sagte man. Die Gerätschaften und Kapitalien, die für die Mosterzeugung erforderlich waren, waren nicht unbeträchtlich. Manche Bauern hatten ihren ganzen Stolz in ihren Presshäusern und Obstkellern liegen.
Die Obstmostbereitung hat eine lange Tradition. Aber das Vorkommen von Äpfeln und Birnen in mittelalterlichen Quellen oder gar in den Pfahlbaudörfern bedeutet noch lange nicht die Kenntnis und Anwendung der Mostbereitung. Im Mittelalter trocknete man die Birnen und Äpfel meist zu Kletzen und Dörräpfeln. Denn die Möste aus den „Holzäpfel-“ und „Holzbirnbäumen“ waren häufig so bitter und sauer, dass sie, wie ein Berichterstatter aus dem Machland im 18. Jahrhundert schrieb, die „Mäuler zusammenziehen, als ob man den grimmigen Tod pfeifen wollte.“ Aber es gab auch schon damals gute Möste: 1677 schickte das Stift St. Florian eine Probe seines „Winiwizbirnen-Mostes“ als Geburtstagsgeschenk an den Kaiser nach Wien. Und der Most muss es in sich gehabt haben: 1570 sah sich Kaiser Maximilian II. veranlasst, den Ausschank von Obstwein zu verbieten, weil dieser nicht nur die Einnahmen aus dem Wein- und Bierbann der Klöster und Herrschaften beeinträchtigte, sondern nach Meinung des Kaisers auch häufig zu Unzucht geführt habe.
Das Mostland Oberösterreich war bis ins 17., teilweise sogar 18. Jahrhundert ein Weinland. Meist sind es die ehemaligen Weinbaugegenden, im Aschacher Becken, im Kremstal und in Teilen der Traun-Enns-Platte, die zu den Zentren des Obstmostes wurden. Erst mit dem Rückgang des Weinbaus und Weinverbrauchs seit dem 16. Jahrhundert, mit der Hebung der Pomologie, die im 18. und 19. Jahrhundert besonders in den Klöstern, etwa in St. Florian oder Kremsmünster, vorangetrieben wurde, und mit dem Wegfall der grundherrschaftlichen Bannrechte nach 1781 begann sich der Mostverbrauch auszudehnen.
Kaiser Joseph II., der sich um alles kümmerte, was er für seine Untertanen für nützlich hielt, erließ am 7. März 1789 ein Dekret, das allen heiratenden Bauersleuten die Verpflichtung zur Anpflanzung von Obstbäumen auferlegte, mit dem Beisatz, „dass diese Pflanzung im nämlichen Jahr, in welchem die Trauung geschieht, unnachsichtlich bewirkt werden müsse“. Die Vorstellung vom Idealbild des erfüllten Lebens, nicht nur ein Haus zu bauen und einen Sohn zu zeugen, sondern auch einen Baum zu pflanzen, ist bis heute im Bewusstsein verhaftet geblieben. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert entstanden die Streuobstwiesen und charakteristischen Baumzeilen entlang der Wege und Straßen. Man kann sich die Bauernhäuser und Dörfer in Oberösterreich kaum mehr anders vorstellen als von einem Kranz von Obstbäumen umgeben. „Riadersham siacht ma kam / Vor lauter Apfelbam“, reimte Franz Stelzhamer.
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts war der Mostverbrauch sehr im Steigen. Während in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Most in vielen Teilen Oberösterreichs noch kaum bekannt war oder nur zu besonderen Anlässen getrunken wurde, glaubte man zu Ende des 19. Jahrhunderts ohne Most nicht mehr auskommen zu können. Der größte Mostboom war in der Wirtschaftskrise der Zwanziger und Dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts zu verzeichnen: Die Arbeitslosen und Ausgesteuerten, und nicht nur diese, tranken im Gasthaus oder bei einem Bauern „a Seitl Most, damit’s net vü kost”.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Mostkonsum rapid zurückgegangen: Unzählige Obstbaumzeilen und Baumriesen fielen den Motorsägen zum Opfer. Ökologisch ist der Verlust erheblich, hinsichtlich Wind, Bodenerosion und Lebensräumen für Tiere. Erst seit den achtziger Jahren ist eine Trendumkehr zu bemerken. Most als bodenständiges Naturgetränk findet zunehmend wieder mehr Freunde. Mostheurige machen ein gutes Geschäft, Mostverkostungen heben die Qualität. Der Most ist „in“. Auch der selbst gebrannte Obstschnaps hat eine Renaissance erfahren und gehört zum Stolz innovativer Bauern.
Es gibt bereits Ausbildungslehrgänge zum Mostsommelier und, was in den heutigen Bauernhöfen inzwischen viel bedeutsamer geworden ist, auch zur Mostsommelière. Eine eigene Mostsprache hat sich herausgebildet, die der Weinterminologie kaum nachsteht, und man wählt unter einer Vielzahl von Sorten und Nuancen, mal trendig, mal bodenständig, von zartfruchtig bis kräftig, von Speckbirnen, Landlbirnen, Brünnerlingen, Birnen- und Apfelcider, Birnenschaumweine und Apfelsekt, wer will, auch mit Hollunder- oder Johannesbeerensaft, und alles in bestechender Qualität. So kann er wieder zu Ehren kommen, der Most, als ein letzter kleiner Rest einer reichen oberösterreichischen Bauernwelt: „'S´ is a himmlische Kost, a Trumm Speck und a Most … Prob's, darnach lob's!“
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 2005.