Barfußwege haben große Konjunktur. Kindern und Erwachsenen werden Kurse im Barfußgehen angeboten. Das Gefühl, wie sich bloße Erde, ein Gang über Tannennadeln und Moosflächen, nasse Steine oder Rindenmulch ausnimmt, das uns verloren gegangen ist, soll wieder geweckt werden. Barfuß über Schotterwege oder spitze Stoppelfelder zu laufen will man ohnehin niemandem mehr zumuten. Mit Schuhen zu gehen, war den Mythen und Sagen zufolge einmal das Vorrecht der Götter und Könige. Was Moses vor dem brennenden Dornbusch anbefohlen worden war, am heiligen Ort die Schuhe auszuziehen, ist in den Moscheen des Islams immer noch selbstverständlich. Nach unserer heutigen Vorstellungen hingegen wäre es höchst unschicklich, ohne Schuhe, also in nicht feiertäglicher Kleidung, in die Kirche zu kommen.
Schuhe waren etwas, das die Armeleutekinder früher gar nicht hatten. Gearbeitet wurde barfuß. Ein Paar Schuhe waren häufig der erste Lohn des jungen Bauernknechts: „Mit neun Jahren ging ich zum ersten Mal während der Schulferien in den Dienst zu einem Bauern. Ich musste schwer arbeiten, aber ich hatte zum erstenmal in meinem Leben genug zu essen und verdiente mir noch meine ersten passenden Schuhe, mit denen ich stolz wie ein Pfau im Winter zur Schule ging …“, schreibt der spätere Kärntner Nationalrats- abgeordnete Josef Gabriel aus seiner Kindheit. Es war in manchen Gegenden, so auch im Mühlviertel, für Armeleutkinder noch im 20. Jahrhundert nicht unüblich, aus Sparsamkeitsgründen bis zum Kirchentor barfuß zu gehen und erst dann in die mitgebrachten Schuhe zu schlüpfen.
Radikale religiöse und zivilisationskritische Gruppen verzichten häufig demonstrativ auf das Schuhwerk. Bekannt ist Sebastian Kneipps Polemik gegen die „Verkümmerungsmaschine“ Schuhe, die dem Wörishofener Naturheil-Pfarrer als höchste Stufe der Natur- und Selbstentfremdung erschienen. Barfuß oder nur mit leichten Sandalen bekleidet versuchten die mittelalterlichen Bettelmönche nicht nur den Unbilden der Natur, sondern auch den Widerständen einer verweltlichten Kirche zu trotzen. Die hl. Hedwig von Schlesien soll, von der Legende ausgeschmückt, selbst im Winter niemals Schuhe getragen haben. Barfuß soll sie nach Rom gepilgert sei. Als ihr ihr Beichtvater anbefohlen habe, dies nicht ohne Schuhe zu tun, soll sie sie in der Hand mitgetragen haben. Mahatma Ghandi kämpfte barfuß und gewaltlos um die Unabhängigkeit. Die Barfüßigen sind damit nicht nur die Unterlegenen, Unterentwickelten und Verdammten dieser Erde, die immer mehr werden, sondern auch die Friedfertigen, Außenstehenden und Widerständigen.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 16. Juni 2007, 40.