Der Fasching ist die Zeit der Schlaraffen. Das Schlaraffenland ist ein Land, von dem fast alle Kinder und auch manche Erwachsene träumen: Eine verkehrte Welt, in der der Bettler König wird, während der König, heute Politiker, einmal ungestraft verspottet werden darf. Das Schlaraffenland ist irgendwo und nirgendwo. Dass es für die Ungarn in Oberösterreich gelegen sei, der ungarischen Bezeichnung „Operentia“ zufolge, die wie „Ob der Enns“ klingt, ist zwar für Oberösterreich ehrenhaft, aber nicht recht logisch. Denn das Schlaraffenland liegt einerseits im Nirgendwo, „hinter den sieben Bergen“, „jenseits von Montag“ oder „drei Meilen hinter Weihnachten“, und andererseits, ein Schlaraffenland, bei allem Wohlstand, war Oberösterreich wohl nie.
Das Schlaraffenland ist ein fiktives Land, ein Land, in dem alles im Überfluss vorhanden ist. In das Schlaraffenland muss man sich zwar hineinfressen, durch eine dicke Schicht Grießbrei. Aber einmal drinnen, fließt in den Flüssen Milch, Honig und Wein. Die Häuser bestehen aus Kuchen. Statt Steinen liegen Käse herum. Essen darf nur, wer nichts arbeitet. König kann nur der Faulste werden, der aber beim Wettessen den Sieg errungen hat. Man hängt sich die Würste um den Hals. Die Schweine laufen mit den Messern im Rücken, die gebratenen Tauben fliegen in den offenen Mund. Nicht nur ist alles gratis, die Gastwirte bezahlen auch noch dafür, dass man bei ihnen isst. Genießen ist dort die größte Tugend, harte Arbeit und Fleiß wird als Sünde betrachtet und bestraft. Wer eine Frau hat, die ihm nicht mehr jung und hübsch genug ist, kann sie gegen eine jüngere und schönere tauschen und bekommt noch ein Draufgeld dafür. Die alten Weiber werden in ein Jungbad gesteckt und kommen frisch und wunderschön wieder heraus. Wer am längsten schläft, verdient am meisten. Und auch das Geld gibt es in unbegrenztem Überfluss. Aber weil alles gratis ist, ist das Geld in Wahrheit wertlos und sinnlos.
Das Schlaraffenland ist keine Utopie, die man sich wünschen könnte, sondern etwas, das völlig widersinnig und unmöglich ist. Eben die verkehrte Welt, die uns bewusst machen soll, dass die wirkliche Welt wirklich die wirkliche ist. Es ist schon so, dass es das Schlaraffenland nicht gibt, auch wenn wir uns heute, verglichen mit den Zuständen in afrikanischen, südamerikanischen oder asiatischen Staaten, oder auch mit der Not, mit der unsere Vorfahren zu kämpfen hatten, mit Fug und Recht manchmal wie im Schlaraffenland fühlen können. Der Gedanke, dass der Überfluss an sich gar nicht so angenehm sein könnte, tauchte bereits Ende des 17. Jahrhunderts auf. Heute kennen wir - zumindest in den reichen Industrieländern – nicht nur die ökologischen, sondern auch die sinnlichen Grenzen des Überflusses.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 17. Februar 2007