Das Sternsingen gehört zu den bekanntesten Volksbräuchen. Seit 1955 wird es von der Katholischen Jungschar in der „Dreikönigs- aktion“ wieder belebt. Etwa 250 Millionen Euro konnten in den vergangenen fünf Jahrzehnten für die Dritte und Vierte Welt an Spenden- geldern gesammelt werden. Und doch sind die Drei Könige als Patrone der Völkerver- ständigung wenig geeignet, tragen sie doch das Bild der europäischen Weltherrschaft und des europäischen Imperialismus in sich. Die Theologie bemüht sich zwar seit langem, aus den Königen, die sich da dem Christkind unterwerfen, Priester, Weise oder Sterndeuter zu machen. Doch das ändert an der Symbolik nicht viel. Ganz egal, ob es sich nun um Könige oder Magier handelt, ob sie astrologischen Beobachtungen oder einem göttlichen Auftrag folgten – die historische Symbolik ist klar: Die drei Kontinente, die die Alte Welt bis Kolumbus kannte, anerkennen an der Krippe die Vorherrschaft Christi und seiner europäisch-christlichen Stellvertreter auf Erden.
Die exotischen Gestalten sind in der Zeit des europäischen Kreuzzugs- und Expansionsdenkens geschaffen worden. Die Gebeine der drei Könige sollen von der heiligen Kaiserin Helena, der Gemahlin Kaiser Konstantins, im 4. Jahrhundert irgendwo im Orient gefunden worden sein. Kaiser Friedrich Barbarossa, der später auf dem 3. Kreuzzug den Tod fand, beschlagnahmte sie zum Zeichen seiner Weltreichs- ansprüche als Kriegsbeute im eroberten Mailand und übergab sie seinem wichtigsten Bistum, dem Erzbistum Köln.
Man sah in den drei Königen die gesamte Menschheit repräsentiert, die Mohren, die Asiaten und die Orientalen. Das Gold, der Weihrauch und die Myrrhe, die Geschenke, die sie mitbrachten, waren die Produkte, denen die Kreuzfahrer nachjagten und die das Rückgrat der mittelalterlichen Globalisierung darstellten. Der berühmte Seefahrer Vasco da Gama, der den Weg um Afrika herum nach Indien entdeckte und damit die Kolonialisierung der Welt einleitete, soll auf die Frage, was er gesucht habe, mit den Geschenken der Drei Könige geantwortet haben: Gold, Weihrauch und Menschen. Das Gold als wichtigstes Zahlungsmittel des Mittelalters, die Gewürze als die begehrtesten Welthandelsgüter der damaligen Zeit, und die Sklaven, die neben Gold und europäischen Industrieprodukten zum dritten Glied im kolonialistischen Dreieckshandel zwischen Europa, Afrika und Amerika wurden. So kann die Dreikönigsaktion auch als kleine Wiedergutmachung verstanden werden, auch wenn das Bild der sich unterwerfenden Exoten übermächtig bleibt.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 5. Jänner 2008, 34.