Die Rhythmen, die einstmals das Kirchen- und Arbeitsjahr gekennzeichnet haben, haben sich völlig eingeebnet. Heute ist immerfort Fasching, immerfort das große Schlemmen, und gleichzeitig immer auch Fastenzeit, Zeit für Diäten und Abnehmkuren. Jene Festspeisen, die früher nur zu bestimmten Festen gereicht wurden, werden heute tagtäglich und ohne bestimmten Anlass angeboten. Dazu gehören die einst typischen Festtagsgebäcke, die Krapfen. Früher gab es sie nur zu ganz hohen Anlässen, an den vier Faschingstagen, zu Ostern, zu Sonnwend oder am Ende des Dreschens. Zu Ostern sangen die Kinder: „Und gebt ihr uns keine Krapfen nicht, dann legen euch die Hühner nicht.“ „Bitt gar schön um an Glöckler- krapfen!“, rufen die Glöckler, wobei manche sich mit einem oder zwei keineswegs zufrieden geben wollen: „Gebt’s uns a sibm, a acht, a neun, / Sunst haun wir eng die Fensta ein!“
Ein Krapfen, so lehren die Kochbücher, ist eine in heißem Schmalz heraus gebackene Mehlspeise, in höchst unterschiedlicher Form und Zubereitung, süß oder sauer, gefüllt mit Fleisch oder Fisch, Kraut, Gemüse, Obst, Nüssen, Marmeladen, warm oder kalt serviert. In Deutsch-Reichenau bei Hohenfurth hat man zu Sonnwend früher neunerlei Krapfen gebacken. Es ist einer der österreichischen Mythen, dass eine Wiener Bäckerin namens Cäcilie Krapf im Jahre 1690 die Krapfen erfunden habe. Krapfen sind viel, viel älter. Der oberösterreichische Meier Helmbrecht lobte sie schon im 13. Jahrhundert. 1486 werden „Krapfenpacherinnen“ in der Wiener Kochordnung erwähnt. Ein Faschings- und Krapfenschießen gab es am Hofe Kaiser Karls VI. Denkwürdig ist auch ein wettkampfmäßiges Krapfenessen im Jahre 1854, bei dem es zwei hungrige Studenten auf je 30 Stücke brachten. Und im Wiener Krapfenwaldl, so will es die Sage, verkaufte ein Handwerksbursch dem Teufel für eine Schüssel Krapfen seine Seele.
Das 18. Jahrhundert war das große Jahrhundert der Faschingskrapfen. Sie waren damals ein extrem teures Gebäck, wenn man bedenkt, dass sie - gefüllt - das Stück zu zwei Kreuzer und ungefüllt zu einem Kreuzer angeboten wurden und ein Bauarbeiter damals höchstens 15 Kreuzer am Tag verdiente. Wie sie zuzubereiten sind, darüber streiten sich bis heute die Experten: ob die Marmelade in die Krapfen hineingespritzt werden muss, was die berühmt-berüchtigten Löcher hinterlässt, die nicht selten Anlass für eine ausgiebige Putzerei-Rechnung sind, oder ob man lieber zwei Hälften zusammenfügt, in die die Marmelade eingefüllt wird. Aber die Hauptsache ist: sie sind frisch und erinnern an das, was einmal ihr Sinn war: zu bestimmten Anlässen ausgiebig zu feiern.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 25. Februar 2006