Jeans

„Jeans sind eine Einstellung und keine Hosen“, lässt Ulrich Plenzdorf die Hauptfigur in seinem 1973 erschienenen Buch
„Die neuen Leiden des jungen W.“ sagen. Als unverwüstliche Arbeitskleidung geschneidert, wurden sie von Anfang weg zu Vehikeln von vielerlei Mythen und Protestbewegungen der modernen Kultur, der Eroberung des Wilden Westens, der revoltierenden Jugendlichen der 50er Jahre, der Bürger- rechts-, Hippie- und Studentenbewegung der 60er Jahre und der Frauenbewegung der 70er Jahre. Der Mythos der Freiheit von Wildwest verknüpfte sich mit der Freiheit der Freizeitgesellschaft und mit der Freiheit von der Bügelfalte.

Den modischen Erfolg hätte sich Levi Strauss, der 1853 nach Kalifornien kam und aus Zeltplanen strapazierfähige Hosen für die Goldgräber zu schneidern begann und sie später nach einer Idee von Jacob W. Davis noch mit Nieten verstärkte, wohl nicht träumen lassen.
Der typische Jeansstoff, der Denim, verballhornt aus Serge de Nimes, einem in der südfranzösischen Stadt Nimes hergestellten Baumwollstoff aus schräg gewebtem Drillich, wurde schon seit dem 17. Jahrhundert für strapazierfähige Kleidungsstücke von Hafenarbeitern in Genua verwendet. Jeans, das heißt Genueser, also Hosen nach Art der Genueser Hafenarbeiter, Arbeitshosen, die ebenso unverwüstlich wie praktisch und billig waren. Gefärbt wurde der Stoff mit tiefblauem Indigo.

Nach Europa waren die Jeans mit den amerikanischen Soldaten gekommen, als Repräsentanten der neuen Kultur, des American Way of Life, mit Rock'n' Roll und Coca Cola, Hamburger und Kaugummi. Mit der Bürgerrechtsbewegung, der Studentenbewegung und der Frauenbewegung wurde sie zum politischen Symbol gegen die Rassentrennung, gegen den Vietnam-Krieg und gegen Diskriminierungen jeglicher Art. 1968, als die Protestwelle nach Europa überschwappte, signalisierten Jeans Antiamerikanismus im Zeichen der Amerikanisierung. Auch in Osteuropa waren diese jahrelang als Symbol des Kapitalismus verunglimpften Hosen längst eingeführt, bevor die kommunistischen Systeme zusammenbrachen.

Die alternative Jeans-Kultur war von der stärksten Waffe der etablierten Gesellschaft, der Mode, vereinnahmt worden. Aus den Arbeitskleidern wurden Designerprodukte, künstlich ausgefärbt und ausgefranst, sexy und jung: Sie sind längst keine Protestkleidung mehr, waren es von ihrer Wurzel her auch nie. Ihre Symbole, die Lässigkeit, die Jugendlichkeit, die Körperlichkeit, lassen sich unter einem Hauptbegriff subsumieren, der „Amerikanisierung“ der Welt.

Roman Sandgruber

Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 4. Juni 2005, 39.