Tattoos sind wieder modern. Eigentlich ist es eine uralte Praktik. Schon der „Ötzi“ war tätowiert. Auf seiner Haut konnten 59 verschiedene Tätowierungen nachgewiesen werden. Auf vielen mumifizierten Leichen aus unterschiedlichsten Kulturkreisen sind derartige Spuren zu finden. Die Funktionen sind vielfältig: medizinische Praktiken, Verschönerung und Abschreckung, religiös-magische Intentionen, Status- und Verwandtschaftszeichen, Eigentumskennungen. In Europa ist die Tradition der Tätowierung mit dem Christentum abgerissen. Der Hautstich war der Bibel zufolge strikt untersagt. Die wenigen bekannten Belege für Tätowierungen in Europa bis ins späte 18. Jahrhundert deuten auf eine geringe Verbreitung, auch wenn aus dem Schweigen nicht wirklich auf das Nichtvorhandensein geschlossen werden kann.
Erst durch die Kontakte mit südpazifischen Kulturen wurde Europa wieder auf die alten Praktiken hingelenkt. Auch die Bezeichnung dafür wurde aus der Südsee importiert. Durch die Art der Einführung über Hafenstädte und seine Herkunft von den kolonialisierten Völkern, aber auch durch die lange europäische Verweigerungstradition galten Tätowierungen aber als minderwertig und suspekt. Auch die Französischen Revolution trug ihren teil dazu bei. Wie viele Revolutionäre tätowiert waren, wissen wir nicht. Es wäre schon sehr merkwürdig, wenn der einzige tätowierte Revolutionär jener gewesen wäre, der es zum König gebracht hat: nämlich Bernadotte, der Ahnherr des schwedischen Königshauses, der als schwedischer König Karl XIV. seine Tätowierungen so sorgfältig zu verbergen wusste, dass sie erst nach seinem Tode entdeckt wurden: mit dem für einen König doch etwas merkwürdigen Schriftzug „Tod dem König“ und dazu neben den Initialen, dem Geburtsdatum und einem Totenkopf auch ein Hakenkreuz. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jedenfalls erlebte die Tätowierung eine erste Blüte: bei Unter- und Unterstschichten einerseits, andererseits in den Königs- und Fürstenhäusern: in Österreich Kaiserin Elisabeth, wie man aus dem jüngst ausgestrahlten Kronprinz Rudolf-Film lernen konnte, aber auch Kronprinz Rudolf und der Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand.
Adolf Loos bestimmte mit seiner Aussage: „Wer sich tätowiert, ist ein Verbrecher oder degenerierter Adeliger“ die Einschätzung im 20. Jahrhundert: Erst in den letzten paar Jahrzehnten begann das Tattoofieber zu grassieren, weil mit der modernen Schönheitschirurgie eine Tätowierung nicht mehr so unabänderlich ist wie einstmals.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 13. Mai 2006
Artikel von Roman Sandgruber aus der Serie "Alltagsdinge" in den Oberösterreichischen Nachrichten.