Kühlschrank

Es ist wieder die heiße Zeit, und man ist um kühle Getränke und frisch gehaltene Speisen froh. Noch vor fünfzig Jahren war ein Kühlschrank eine Rarität. Heute wäre ein Verzicht darauf nur bei grundlegender Änderung der Lebensgewohnheiten denkbar. Der Vorläufer des elektrisch oder mit Gas betriebenen Kühlschranks war der Eiskasten. Das Blockeis wurde vom Eismann auf der Straße an die Hausfrauen verkauft, in die entsprechende Größe zerhackt und in den Eiskasten oben eingelegt. Dieses mit Blech ausgeschlagene Gerät, von dem es ständig tropfte, bestand aus einem Fach für die Speisen, einem anderen für den Eisblock und dem unten angebrachten Hahn zum Wasserablassen.

Mechanische Kältemaschinen wurden um die Mitte des 19. Jahrhunderts für Brauereien und Betriebe der Nahrungsmittelindustrie entwickelt. Zuerst waren diese mit Dampf betriebenen Monster für den Haushalt völlig ungeeignet. Dem Stand der Kältetechnik um 1900 und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts entsprachen Konzepte, in den Wohnblöcken zentralisierte Kältesysteme zu installieren und die Haushalte gleichsam wie Fernheizwerke mit Kälte zu versorgen. Das „Downscaling“, die Verkleinerung der Geräte, machte sie zu Haushaltsmaschinen. Neben dem Auto wurde der Kühlschrank zum Symbol der amerikanischen Kultur. 1910 waren in den USA etwa 200 Haushalte mit Kühlschränken ausgestattet. Um 1937 besaßen bereits fast siebzig Prozent aller amerikanischen Haushalte einen mechanischen Kühlschrank. In Österreich hingegen gab es 1937 insgesamt 3000 Kühlschränke, etwa 0,2 Prozent aller Haushalte waren damit ausgestattet.

Das Schlagwort der Nationalsozialisten vom Volkskühlschrank erwies sich genauso als leeres Versprechen wie der Volkswagen oder der Volksfernseher. Erst nach 1950 begann in Europa der Massengebrauch von Kühlschränken. Aber noch immer haftete ihnen das Flair des Luxus an: 1957 war in etwa 8 bis 9 Prozent der österreichischen Haushalte ein Kühlschrank vorhanden. „Eiskasten hab i …“, sagt der Herr Karl, der typische Wiener, den Helmut Qualtiger 1960 so unnachahmlich verkörperte: „I brauchn ja eigentlich net. I hab ja nix drin. I iss eh net z'haus…“ Inzwischen ist der Kühlschrank zu einem unauffälligen, aber in jedem Haushalt vorhandenen Gerät geworden. Nicht mehr chromblitzend wie einst, sondern vom Holz- oder Kunststoffdekor der Einbauküche verdeckt, lässt der Kühlschrank seine Funktion und sein Prestige nach außen hin gar nicht mehr erkennen. Ein Schrank wie jeder andere. Aber nahezu unverzichtbar.

Roman Sandgruber

Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 1. Juli 2006, 36.