Salzfass

Ein Salzfass erschüttert die österreichische Kulturszene. Gewiss, die in den Jahren 1540 bis 1543 angefertigte und als Geschenk Karls IX. in habsburgischen Besitz gelangte Saliera des Benvenuto Cellini ist ein ganz besonderes Salzfass und der Diebstahl bot Stoff für beißende Satiren. Was dieses goldene Prunkstück der höfischen Tischkultur zur Zeit seiner Entstehung gekostet hat, ist ebenso wenig bezifferbar wie sein gegenwärtiger Wert. Aber Salzfässer waren früher allein schon durch ihren Inhalt Dinge von höchstem Wert. Die Unentbehrlichkeit des Salzes und sein hoher Monopolpreis formten einst sein Prestige. An einer mittelalterlichen Festtafel den Platz in der Nähe des Salzfasses zugewiesen zu erhalten, war höchste Ehre. Die Salzgefäße aus Holz, Zinn, Porzellan, Silber oder gar Gold waren die zentralen Blickpunkte einer Festtafel. Doch ein Salzfass gehörte auch zum bescheidensten Besitz der Ärmsten und Elendsten.

Man salzte viel: eines der ältesten Kochbücher, das um 1350 geschriebene Hausbuch „Von guter Speise“ warnte mit der immer wieder vorkommenden Schlussformel „und versalz es nicht“ vor einem übertriebenen Gebrauch. Dem Fürsten wurden Brot und Salz als Zeichen der Ergebenheit dargeboten. Und Salz und Brot werden bis heute bisweilen Landeshauptleuten oder sonstigen mehr oder weniger gern gesehenen Gästen zum Willkomm gereicht. In den koscheren Lokalen wird auf jeden Tisch grobes Salz gestellt, das man noch vor dem Bestellen auf das Brot reibt. Erst derjenige sei ein wirklicher Freund, schrieb einst Aristoteles, mit dem der Freundschaftsbund schon so lange währe, dass das sprichwörtliche Scheffel Salz verzehrt sei.

Salz galt auch als Aphrodisiakum. Bei Hochzeiten gab man dem Brautpaar Brot und Salz. In einem von Grimms Märchen heißt es „den Vater lieb haben wie Salz“. Und welche Köchin hätte nicht schon einmal aus Liebe die Suppe versalzen? Das „Einsalzen“ des Ehepartners und seines Hinterteils, was immer man sich darunter vorzustellen habe, war eine Übung, die in satirischen Blättern des 16. und 17. Jahrhunderts häufig dargestellt wurde.

Salz auszuschütten gilt nicht nur als Ungeschicklichkeit und Verschwendung, sondern auch als sicheres Zeichen kommenden Unglücks. Auf Leonardo da Vincis Abendmahlfresko in Mailand hat Judas gerade das Salzfass umgestoßen. Allgemein ist der Aberglaube, dass das Verschütten von Salz Ärger und Streit bedeutet. Soviel Körnchen Salz man verstreue, soviel Sünden tue man. Am Jüngsten Tag werde man sie suchen müssen, bis die Augen bluten. So betrachtet, war das rasche Wiederauffinden der Saliera ein wahrer Glücksfall.

Roman Sandgruber

Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 2. September 2006, 35.