Der Steyr-Traktor, ein Symbol der österreichischen Nachkriegszeit, feiert Geburtstag. Vor nunmehr 60 Jahren wurde mit den ersten Traktoren aus Steyr die Mechani- sierung und Industrialisierung der öster- reichischen Landwirtschaft eingeleitet. Für den Schriftsteller Alois Brandstetter, der in Pichl bei Wels aufgewachsen war, war es die größte Sensation seiner Kindheit: „Eines schönen Sommertages im Jahr 1948 ratterte zur größten Verblüffung aller an unserem Haus ein Traktor vorüber. Im Fahrersitz saß Karl, der Knecht des Mikl.“ „Diese Probefahrt“, fährt Brandstetter fort, „habe ich als die größte Sensation meiner Kindheit in Erinnerung. Alles lief ins Freie. Stolz wie ein Kaiser fuhr Karl der Große an den erstaunten und erschrockenen Leuten vorbei.“
Der Traktor wurde zum entscheidenden Pfeiler des bäuerlichen „Wirtschaftswunders“: Am Anfang des 20. Jahrhunderts erfunden, wurde er in den Zwanzigerjahren von den amerikanischen und britischen Firmen Ford, International Harvester und Ferguson mit Zapfwelle und Dreipunktaufhängung zum Geräteträger weiterentwickelt. Henry Ford revolutionierte mit der Serienproduktion des Fordson die Landmaschinen- industrie ähnlich stark wie die Automobilindustrie. In Österreich kamen die ersten Traktoren in den Zwanzigerjahren zum Einsatz. 1929 wurde auf den Feldern des Stiftes St. Florian ein Vergleichspflügen organisiert, bei dem zehn ausländische Traktortypen beteiligt waren. Es gab damals noch keinen inländischen Produzenten. 1928 hatten die Steyr-Werke zwar erstmals versucht, mit einem Traktor auf den Markt zu kommen: 80 PS stark, mit Vierzylinder-Benzinmotor und schweren Eisenrädern. Gebaut wurde ein einziges Stück. 1930 wurden in Österreich 720 Traktoren gezählt.
Die Nationalsozialisten hatten zwar bei Ferdinand Porsche auch einen „Volkstraktor“ in Auftrag gegeben, der ähnlich wie der Volkswagen in großen Stückzahlen produziert werden sollte. Zur Auslieferung aber kam er nie. 1945 beschloss die Steyr-Daimler-Puch AG statt der Automobilproduktion die Erzeugung von Traktoren aufzunehmen. Am 23. November 1946 konnte der Prototyp des ersten österreichischen Traktors präsentiert werden: der legendäre 26 PS starke Steyr 180, der mit einem 26 PS starken 2-Zylinder-Motor ausgestattet und wegen seiner grünen Farbe und etwas behäbigen Form liebevoll als „Frosch“ bezeichnet wurde. Ab 1947 wurde er ausgeliefert. 1950 kam der kleinere Typ 80 dazu, der von einem 15 PS starken Einzylinder-Dieselmotor angetrieben wurde. Insgesamt wurden zwischen 1947 und 1977 von den Baureihen 180 und 80 über 150.000 Stück produziert. Inzwischen arbeiten in der öster- reichischen Landwirtschaft mehr als 300.000 Traktoren und gibt es für die Traktorveteranen genauso Treffen und Museen wie für die Automobil-Oldtimer.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 28. Juli 2007, 27.