Säen

Man sieht heutzutage keine Säleute mehr auf den herbstlichen Feldern. Sämaschinen, in manchen Regionen schon GPS-gesteuert, ziehen über die Felder. Von der Symbolkraft des Sämanns, die einst so große Bedeutung hatte, ist im Zeichen der Agrarindustri- alisierung nicht viel geblieben. Dass dem Säen in Mythen, Gleichnissen und Kunstwerken so große Bedeutung zukam, liegt einerseits in seiner Bedeutung als Beginn des Zyklus von Wachstum, Reifen und Ernte, andererseits auch in der Tätigkeit des Säens selber. Der Sämann steht wie ein heroischer Kämpfer allein auf dem Feld, mit bloßer Hand streut er den Samen. Kein Gerät, sei es noch so primitiv, steht zwischen ihm und der Ackerkrume.

Die große Symbolkraft des Motivs führte dazu, dass es, wie man sich auch in der diesjährigen Niederösterreichischen Landesausstellung überzeugen kann, in vielen Kunstwerken, aber auch Plakaten, Briefmarken, Geldscheinen und Münzen Verwendung fand. Besonders große Verbreitung erlangte die französische „Semeuse“, die Säerin, die 1882 von dem Medailleur Oscar Roty entworfen worden war. Die Verbindung der Allegorie der Landwirtschaft mit der Revolutionsfigur der „Marianne“ machte sie zum Symbol Frankreichs. Die „Semeuse“ war, mit einer längeren Unterbrechung, von 1897 bis 2002 auf den Francmünzen zu sehen, von 1903 bis 1962 auch auf Briefmarken und ziert in moderner Umarbeitung die französischen 10-, 20- und 50-Eurocent-Münzen. Jüngstes Beispiel für die Beliebtheit des Sämann-Motivs ist die slowenische 5-Cent-Münze von 2007 mit der Darstellung eines Sämannes nach dem in Slowenien sehr populären Gemälde von Ivan Grohar (1907). Der Sämann streut hier die Sterne des vereinten Europa aus.

Das bekannteste österreichische Sämann-Bild ist das biblische Gleichnis vom Sämann und dem Teufel, das Albin Egger-Lienz in mehreren Fassungen dargestellt hat. Nach seiner eigenen Aussage sah er in dem Motiv über die biblische Bedeutung herausgehend „den ungeheuren Kampf um die Scholle, wie ihn unsere Bergmenschen täglich kämpfen.“ Als 1945 die Republik Österreich wieder erstand, wählte man für die neuen Schilling-Münzen das Motiv des Sämanns. Die 1-Schilling-Münze, die in Aluminium ausgeführt wurde und zwischen 1947 und 1961 im Umlauf war, zeigte auf der Reversseite einen Sämann nach einem Entwurf von Michael Powolny. Die Anlehnung an die Figur des Teufels in Albin Egger-Lienz’ Gemälde „Sämann und Teufel“ war offensichtlich, wobei die kesse Stirnlocke des nackten Jünglings nur notdürftig die Hörner des Originals kaschierte, was Powolny nicht nur einen Plagiats-Vorwurf eintrug, sondern der Republik auch den Spott, den Teufel auf ihrer wichtigsten Münze zu haben.

Roman Sandgruber

Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 29. September 2007, 34.