Maibäume haben eine komplizierte Geschichte. Der Brauch ist ja einigermaßen bizarr: Mitten im grünenden Frühling werden Bäume gefällt, entrindet, mühsam wieder aufgestellt, mit Kränzen und nahrhaften Trophäen behängt, umtanzt und beklettert, rituell gestohlen und aufgeregt bewacht. Bäume aufzustellen ist für viele Anlässe belegt: zu Weihnacht, zu Neujahr, zu Lichtmess, zu Pfingsten und eben auch im Mai. Der Maibaum-Brauch muss uralt sein. Maibäume sind schon im 13. Jahrhundert urkundlich belegt. Man begegnet ihnen in fast ganz Europa, aber auch außerhalb. Die Symbolik ist vieldeutig: Vertreibung der bösen Geister, Lob und Rüge für die Mädchen im Dorfe und Ehrenbezeigung für die Honoratioren. Doch ihre wirkliche Geschichte ist eine politische Geschichte.
Der Maibaum war einst ein Hexenbaum. Bei den Hexenverfolgern des 17. Jahrhunderts, die überall und jederzeit, und besonders in der Walpurgisnacht vom 30. April zum 1. Mai, die Umtriebe der bösen Geister vermuteten, fand der Maibaum besondere Förderung. Der Stamm des Baumes musste dabei sorgfältig abgeschält sein, damit die „Hexen sich nicht unter der Rinde festsetzen“ können. Solcher Aberglauben war auch der Hauptgrund, dass das Maibaumsetzen von den Aufklärern des 18. Jahrhunderts häufig verboten wurde. In Linz, um ein Beispiel zu nennen, war das Maibaumaufstellen seit 1733 untersagt.
Die Amerikanische und die Französische Revolution brachten ein Neuerwachen des Maibaumkults: Ausgehend von Boston, wo 1765 aus Protest gegen die englische Stempelsteuer auf einer Ulme zwei Strohpuppen aufgehängt wurden, entwickelten sich mit Bändern und Fahnen geschmückte Freiheitsbäume überall zum Symbol der Revolution. Auch in der 1848er Revolution wurden in Österreich wieder Freiheitsbäume errichtet. Sie wurden zum Symbol der nach der Aufhebung der feudalen Grundherrschaft neu eingerichteten demokratischen Ortsgemeinden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wandelte sich das revolutionäre Signal immer mehr zum Zeichen von deutschnationalem Volkstum und nordisch verstandenem Neuheidentum. Die Nationalsozialisten konnten hier nahtlos anknüpfen. 1938 wurde auf dem Linzer Hauptplatz nach langen Jahren der Absenz mit großem Pomp ein Hakenkreuz geschmückter Maibaum aufgestellt. Noch lange nach 1945 sahen die Stadt Linz und ihr aufrechter Bürgermeister Ernst Koref im Maibaumbrauchtum nicht nur ein antiquiertes, zu einer modernen Industriestadt nicht passendes Relikt, sondern auch den Geist von 1938. Erst 1976 durfte auf dem Linzer Hauptplatz wieder ein Maibaum aufgestellt werden. Aus dem einst hochpolitischen Zeichen ist damit auch in Städten ein gern gesehener dörflicher Event geworden.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 29. April 2006