Büroklammer

Eine Büroklammer ist wahrlich ein unscheinbares Ding. Und doch sind die wirtschaftlichen und symbolischen Hintergründe dieses kleinen Drahtstückes enorm. Es war ein weiter Weg bis zum heutigen Design. Mehr als 20 Erfinder und Patente listet das „Early Office Museum“ auf. Ein erstes Patent ließ sich der Amerikaner Samuel B. Fay im Jahre 1867 ausstellen. Der heute verbreitetste Typ wurde um etwa 1890 von der britischen Gem Manufacturing Company auf den Markt gebracht und bald industriell hergestellt. Am vehementesten allerdings haben die Norweger die Büroklammer für sich reklamiert. Für sie, die zur Geschichte der Erfindungen außer dem Schifahren nicht wirklich viel beigetragen haben, gilt die Büroklammer als die größte Erfindung, die das Land der Welt geschenkt hat. 1899 erhielt der Norweger Johan Vaaler ein Patent auf eine Büroklammer. Aber was er sich damals beim deutschen Patentamt registrieren ließ, war keineswegs die erste und auch nicht die funktions- tüchtigste Variante einer Büroklammer, und jedenfalls nicht die heute übliche.

In der Nähe von Oslo steht ein sieben Meter hohes Metallmonument: die größte Büroklammer der Welt. Die Büroklammer ist Norwegens Nationalsymbol geworden. Nach der Okkupation Norwegens durch die deutsche Wehrmacht wurde die Klammer, am Jackenkragen befestigt oder ins Ohr gesteckt, zum Symbol für die Solidarität der Norweger untereinander und für die Loyalität zum König, der das Land in Richtung Großbritannien ins Exil verlassen hatte: „We are bound together“. Nicht wenige Norweger wurden für Büroklammern ins Gefängnis gesteckt. An diesen norwegischen Mythos wiederum knüpfte 1998 das weltweit bekannt gewordene Büroklammern-Projekt der Whitwell Middle School in Tennessee an: aus sechs Millionen Büroklammern entstand ein riesiges Denkmal für sechs Millionen im Holocaust umgekommene Opfer, auch wenn die norwegische Kampagne in ihrer Zielrichtung überhaupt nichts mit einem Protest gegen die Vernichtung der Juden zu tun gehabt hatte.

Muss man der Büroklammer, so simpel und elegant sie ist, angesichts des Vormarsches elektronischer Akten und des papierlosen Büros ein baldiges Ende vorhersagen? Die Papierflut wird vorerst nicht kleiner werden. Und ein beachtlicher Teil der Büroklammern erfüllt ja gar nicht ihren ursprünglichen Zweck. In der Langeweile des Büros werden sie wohl schon in vielerlei Hinsicht entfremdet worden sein, vom Nägel Putzen bis zum Schrauben Ziehen. Und frühen Macintosh-Benutzern, wie der Autor einer war, ist sie als letzter Ausweg geläufig, wenn die Diskette mit keinerlei Befehl mehr aus dem Laufwerk herauszukriegen war. Doch der Apple Macintosh ist längst ein Museumsstück, während die Büroklammer noch immer unverzichtbar ist.

Roman Sandgruber

Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 17. März 2007, 34.