Es ist wieder Eiszeit. So stellten sich die alten Griechen das Leben der Götter im Olymp vor: In der Hitze des Sommers bei erfrischendem Eis zu sitzen, das aus dem Gipfelschnee mit Früchten, Honig und Rosenwasser hergestellt werden konnte. Die römischen Kaiser sollen sich durch Schnellläufer Schnee und Eis vom Apennin heranbringen haben lassen, der indische Kaiser Ashoka aus dem Himalaya. Als eigentliche Erfinder des Speiseeises gelten jedoch die Chinesen. Wie so vieles wanderte die Kunst, mittels einer Kältemischung im Sommer Eis herzustellen, das mit Mandarinen, Rosinen und süßen Essenzen aromatisiert werden konnte, die Seidenstraße entlang nach Westen. Das „Scherbet“ wurde zu einem Lieblingsgetränk des Morgenlandes und als Sorbet zum Höhepunkt italienischer Tafelkultur der Renaissance. 1533 wurde in Florenz mitten im Sommer zur Hochzeit von Katharina von Medici mit Heinrich II. Himbeer-, Zitronen- und Orangeneis serviert. Wie ein Staatsgeheimnis wurde die Kunst gehütet.
In Wien soll ein Italiener namens Bartolo Bensari als erster im Jahre 1602 Gefrorenes aus Orangensaft bereitet und unter „Aqua Bensari“ angeboten haben. Der erzbischöflich-salzburgische Hofkoch Conrad Hagger gibt in seinem 1718 veröffentlichten „Neuen Saltzburgischen Kochbuch“ auch zahlreiche Rezepte für Gefrorenes und „Schneemilch“ aus verschiedenen Fruchtsäften und Essenzen. Die mit der entsprechenden Rezeptur gefüllten Model wurden in einen Bottich mit Eisstücken gestellt, Viehsalz darauf gestreut und der daraufhin einsetzende Gefriervorgang abgewartet.
Um 1800 war der Eisgenuss bereits weit über den Lebensstil des Adels und der Höfe hinausgedrungen. In den Wiener Cafés und „Limonadehütten“ gab es neben Limonade und Mandelmilch auch allerlei Sorten Eis zu kaufen, mit Pomeranzen, Limonen, Weichseln, Erdbeeren, Ribiseln, Pfirsich, Ananas, Mandeln, Vanille, Schokolade.
Jede großbürgerliche Köchin des 19. Jahrhunderts konnte Eis herstellen. Die USA demokratisierten und industrialisierten den Eisgenuss. 1848 wurde in den USA die erste gewerbsmäßig verwendbare Maschine zur Eisbereitung entwickelt und 1851 die erste Speiseeisfabrik der Welt eröffnet. In den „goldenen“ 20er Jahren brach in den USA ein wahrer Eisrausch aus. Der Eislutscher wurde erfunden. Henry Bust erhielt 1923 dafür ein Patent. Amerika wurde zum Inbegriff für „kalte“ Kultur.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erfüllte sich auch Europa die amerikanischen Träume, den Kühlschrank, die Gefriertruhen, die eisgekühlten Getränke, die Eiscreme zu allen Anlässen. Im Kalorienhunger der Nachkriegszeit gab man sich auch mit einer „Semmel mit Eis“ zufrieden. Die wirklichen Schlager der Nachkriegszeit wurden das Eis in der Tüte und das Eis am Stiel: „Jolly“, „Twinni“, „Brickerl“, im Plastikzeitalter der 70er Jahre auch der Paiper. Immer größer wurden die verzehrten Mengen und immer raffinierter die Geschmacksvariationen, die Kreationen der Eiserzeuger und die Künste der Eisköche. Eisliebhaber werden sich wie die Götter von einst fühlen.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 23. Juli 2005, 31.