Betten

Die Mehrfachbelegung von Betten ist zu einem Begriff der Fremdenverkehrswirtschaft geworden: für mehr oder weniger betrügerische und schlampige Praktiken, die zu Ärger und Stress im Urlaub beitragen, aber wohl nur in Ausnahmefällen in eine reale Mehrfachbelegung einmünden. Ein mittelalterlicher Reisender hätte sich darüber kaum ärgern können: Mit fremden Menschen ein Bett zu teilen, war gang und gäbe gewesen. Noch 1947, als eine österreichische Delegation zu den ersten Staatsvertragsverhandlungen nach London reiste, gab es für die hochrangigen Abgesandten viel zu wenig Betten. So musste sich der Linzer Bürgermeister und Vertreter der SPÖ Ernst Koref mit dem KPÖ-Abgeordneten Ernst Fischer ein Bett teilen, ohne dass daraus auf eine politische Ehe zu schließen gewesen wäre.
Bis zum Ersten Weltkrieg blieb sowohl für die städtischen wie für die ländlichen Unterschichten das Einzelbett eine Seltenheit. In einem Bett zu schlafen und gar ein eigenes Bett zu besitzen, bedeutete Ansehen und Herrschaft. Die Bank, als außer- eheliches Notbett, war die Zeugungsstätte des „Bankerts“, des unehelichen Kindes. Betten waren zuerst einmal dem Hausherrn und der Hausfrau vorbehalten. Die weiteren Hausmitglieder schliefen, zum Teil noch bis ins 20. Jahr- hundert, im Heu, im Stall, auf dem Dachboden, auf der an der Wand umlaufenden Stubenbank, auf einem am Boden aufgeschütteten Strohlager oder in täglich neu aufgestellten Notbetten. Nur allmählich waren die „Bettgeher“, die sich in der Stadt sonst nichts als ein Bett mieteten und dieses oft im Schichtbetrieb mit einem zweiten teilen mussten, nach 1900 weniger geworden.

Nicht Lustspielspäße und Bettgeschichten machen die Kulturgeschichte des Bettes aus, sondern die Realität der sozialen und kulturellen Differenzierung, die Reichtum und Not, Status und soziale Deklassierung demaskiert. Man gerät beim Thema Bett leicht in Versuchung, in einen pathetischen Lobpreis dieses famosen Möbelstückes einzustimmen und nachzusinnen, wie viele geistige Spitzen- leistungen im Bett erdacht und festgehalten worden seien, auch wenn die Realität viel prosaischer ist und sich von der Verbindung von Bett und Arbeit nicht allzu viel erwarten lässt. Jedenfalls ist das Bett bis heute allgegenwärtig: von jedem Tag, der dort beginnt und endet, bis zum Lebenszyklus, der sich am Bett orientiert: Aber das Brautbett hat seine Bedeutung fast ganz verloren, das Wochenbett wird angesichts sinkender Kinderzahlen immer weniger gebraucht, und das Totenbett, in welchem ein geregeltes Leben einst zu enden hatte, ist aus dem häuslichen Gesichtskreis fast ganz verbannt.

Roman Sandgruber

Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 30. April 2005, 37.