Stöcke

Das titelfreudige Österreich wird sich bald über einen neuen Titel freuen können, den Baccalaureus oder Bachelor, als untersten der akademischen Grade, wie er schon an mittelalterlichen Universitäten üblich war. Woher der Name kommt, ist nicht wirklich klar. Die übliche Herleitung vom „mit Lorbeer bekränzten“ Absolventen („baca laureus“) ist nicht recht stimmig, nicht nur weil der Lorbeerkranz sicherlich nicht der untersten Ebene mittelalterlicher akademischer Titel zugebilligt worden wäre, sondern weil die mittelalterliche Form des Titels „baccalarius“ lautete und damit überhaupt nichts mit „bekränzt“ zu tun hat. Viel eher ist ein Zusammenhang mit dem lateinischen Wort für Stock anzunehmen, worauf auch die bei mittelalterlichen Studierenden üblichen „Bakelfeste“ hindeuten, die mit einer symbolischen Stabübergabe verbunden waren. Angehende Akademiker wurden mit dem Recht ausgestattet, einen Stock zu tragen: den Doktorstock, der genauso wichtig war wie der Doktorhut, den Stock des Magisters, der im Rohrstaberl der Lehrer bis weit ins 20. Jahrhundert bisweilen noch recht schmerzhaft präsent war, und eben auch der Stab des frisch gekürten „baccalareus“.

Stäbe und Stöcke spielten in magisch-beschwörenden Praktiken früherer Zeiten als Zauber- wie Richterstäbe eine erhebliche Rolle. Es wird ihnen in Mythen und Sagen eine geheimnisvolle Kraft zugeschrieben: Der Stab zwingt, bannt und verpflichtet: die dunklen Mächte, das Schicksal, die Menschen. Einst trugen sie die Götter und Heroen, die Kaiser und Fürsten, Bischöfe, Richter, Kommandanten und andere Würdenträger. Frauen hingegen durften mit Ausnahme mancher Äbtissinnen keine Stäbe tragen. Nur die Hexen reiten den abergläubischen Vorstellungen zufolge auf Besenstöcken durch die Lüfte. Im Wort Hexe ist der Stock versteckt: Hagazussa, die Zaun- oder Steckenreiterin.

Richterstäbe begegnen vom Frühmittelalter bis ins 19. Jahrhundert. Aber auch die Büttel, Gerichtsknechte und Gefängnisverwalter waren durch Stäbe hervorgehoben. Dasselbe galt für Hofmeister, Bürgermeister, Schultheißen, Landammänner und Zunftvorsteher. Stäbe sind nicht nur Herrschaftszeichen, sondern waren auch Abzeichen von Personen, die in dauerndem Dienst der Mächtigen standen, der Wappenherolde, Türsteher und Hofbeamten.

Dort und da gibt es sie noch, die Stöcke und Stäbe: die Krummstäbe der Bischöfe, die Taktstöcke der Dirigenten, in den Orchestern, nicht aber bei den Chören, und nicht zuletzt, zeitbezogen, den Stab des Nikolo und die Rute des Krampus. Die Kommandostäbe leben noch als Wort in den Generalsstäben und Stabsoffizieren. Nur in der modernen Fitnesskultur gibt es eine Renaissance. Walking-Stöcke sind voll im Trend.

Roman Sandgruber

Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 3. Dezember 2005