Eine Umfrage nach dem ältesten und ursprünglichsten Kleidungsstück würde wohl in der Regel mit dem Schurz beantwortet werden, der uns als schlichter Lendenschurz aus so vielen mythischen und biblischen Erzählungen vertraut ist. Schürzen würden aus einer Umfrage aber wohl auch als typisch weibliches Kleidungsstück hervorgehen, und dies, obwohl der Schurz als Männerkleidungsstück entstand und einst als Statussymbol für viele männliche Berufe eine wichtige Rolle spielte. Noch im frühen 20. Jahrhundert konnte man sich niederösterreichische Weinbauern oder oberösterreichische Hörndl- und Körndlbauern nicht ohne ihr blaues Fürtuch vorstellen.
In der Hierarchie der spätmittelalterlichen Gesellschaft kennzeichneten Schürzen die Meister, während Lehrlinge und Gesellen mit Kitteln bekleidet dargestellt wurden. Beschürzte Kleidung war Ausdruck eines gehobenen Standes, was sich in der Freimaurerei bis heute erhalten hat. Bäuerinnen, Mägde und Dienerinnen wurden auf spätmittelalterlichen Bildern meist noch ohne Schürzen dargestellt. Erst in der Neuzeit wurden Schürzen zum festen Bestandteil der Frauenkleidung. Seither gaben Sprichwörter und Redensarten der Schürze immer mehr eine eindeutig weibliche Besetzung: Der Mann als „Schürzenjäger“ und die Frau als „Schürze“, vom „unter die Schürze greifen“ und „hinter jeder Schürze her sein“ bis zum „am Schürzenzipfel hängen“.
Das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit verdrängte die Schürze. Die Kleiderschürze, die in den 1920er Jahren noch als Symbol für Modernisierung galt, wurde seit den 1960/70er Jahren zum Zeichen der „Heimchen am Herd“. Dafür verantwortlich war nicht nur die Unfallgefahr, die mit diesem flatternden Kleidungsstück verbunden war. Die Schürze wurde bei den Arbeitern vom Overall und Blaumann verdrängt, bei den Angestellten von den Arbeitsmänteln, grauen oder grünen bei Verkäufern und Magazineuren, weißen bei Ärzten, Drogisten und Pharmazeuten und ganz allgemein von der immer weiter um sich greifenden Hosenkleidung und Jeansmode. Nur in der Tracht konnte die Dirndlschürze ihre Position behaupten. Und inzwischen sieht man auch wieder beschürzte Männer, sowohl als elitäre Hobbyköche als auch als ernsthafter Ansatz einer partnerschaftlichen Aufteilung der Haushaltsarbeit. Gleichzeitig gewinnen Schurz und Schürze die Funktion einer neuen Traditionsbindung: nicht nur im Dirndlkleid, sondern auch in In-Lokalen und Marktstandeln, bei Edelwinzern und Biobauern.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 19. August 2006, 31.