Fasten

Nach einem überlangen Fasching kommen die 40 Tage der Fastenzeit. Noch im 19. Jahrhundert zählte das katholische Kirchenjahr aber fast 150 Fasttage, neben den vierzig Tagen von Aschermittwoch bis Karsamstag auch die vierzig Tage vor Weihnachten die Sonntage jeweils ausgenommen, beginnend also mit dem 11. November, der heutzutage eher als Beginn des Faschings denn als Beginn einer vorweihnachtlichen Besinnung missverstanden wird. Zu diesen 80 Tagen kamen natürlich alle Freitage, ferner die Quatembertage und die Vigiltage bzw. Vortage hoher Feiertage. Vierzig ist eine symbolische Zahl für Askese und Verzicht: 40 Jahre irrten die Israeliten durch die Wüste, 40 Tage wanderte Elias zum Berg Horeb, 40 Tage fastete Jesus in der Wüste und 40 Tage nach der Auferstehung feiert die Kirche Christi Himmelfahrt.

Was fasten sein solle und worauf man verzichten solle, darüber gab es immer wieder Diskussionen: ob Verzicht auf Fleisch, auf Milchprodukte, Eier, Alkohol, ob eine generelle Reduktion der konsumierten Essensmengen (Abbruchfasten), Verzicht auf Tanz und sonstige Unterhaltungen, sexuelle Enthaltsamkeit etc. Jedenfalls war in der Fastenzeit Fleisch von vierfüßigen Tieren und von Vögeln verboten, und ursprünglich auch alles, was von diesen Tieren kommt: Eier, Milch, Butter und Käse wurden bis ins ausgehende Mittelalter zu den während der Fastenzeit verbotenen Speisen gerechnet.

Wer es sich leisten konnte, der konnte auch in der Fastenzeit ganz gut leben, mit Fischen und Krebsen, sonstigen Schalentieren, Schnecken und Fröschen. Auch Biber und Fischotter, sofern einem das schmeckt, brachen das Fasten nicht, ebenso wie Süßigkeiten. Seit dem ausgehenden Mittelalter wurden die Fastengebote immer mehr gelockert. Die Reformatoren lehnten sie als Äußerlichkeiten generell ab.

Die Wiener Kochbuchautorin Magdalena Rettig schrieb 1888 ein eigenes Kochbuch für die Fastenzeit. Ihr Vorschlag für ein Fastenmenu in neun Gängen zeugt kaum von einem Fasten, wie wir es verstehen: Fischsuppe, Muscheln mit Wein, Eierpflanzel mit Schwämmen, gekochter Hecht mit Kren, Äpfelauflauf, Karpfen in gelber Soße, faschierte Krebse mit Karfiol, Backfisch mit grünem Salat, zur Nachspeise Golatschen, Zwieback und Obst.

Fasten war auch früher nicht immer eine sehr ernste Sache. Inzwischen haben wir weitgehend verlernt, was Fasten bedeutet. Aber gefastet wird viel. Diäten jeglicher Art werden angepriesen, die häufig teurer sind als jedes Festmenu. Politiker und Starköche laden zum Fastensuppenessen. Und dann wird gefastet, bis der nächste Schlemmerurlaub kommt.

Roman Sandgruber

Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 4. März 2006