Man kann die Welt in vielerlei Weise aufteilen, nach Machtblöcken und Einflusssphären, nach Kontinenten und Himmelsrichtungen, aber auch nach Essen mit den Fingern, mit Stäbchen und mit Messer und Gabel. Etwa ein Sechstel der Weltbevölkerung isst mit Messer, Gabel und Löffel. Ein Drittel benutzt Stäbchen. Die Hälfte jedoch isst mit den Fingern. Mit Stäbchen isst man in Fernost seit drei- bis viertausend Jahren, mit Messer und Gabel in Europa seit etwa drei- bis vierhundert Jahren.
Der Schritt zum Gebrauch der Gabel als Essgerät ist einzig im Abendland vollzogen worden. Die Gabel war eine wahrscheinlich vom byzantinischen Kaiserhof ausgehende Mode, die zuerst von den Venezianern übernommen wurde. Der Kardinalbischof Petrus Damiani, der kurz nach Verkündung des Schismas 1054 schrieb und alles Oströmische ablehnte, berichtet, unterlegt mit märchenhaften Zügen, von der verzärtelten Prinzessin Argillo, die der Doge Pietro Orselio II. zur Frau genommen hatte, die sich nur in Tau badete, keine Speise mit den Fingern anrührte, sondern sie mit zweizinkingen Gäbelchen zum Munde führte und die schließlich bei lebendigem Leib verfault sei. Seit Petrus Damiani galt die Gabel als Inbegriff für sündhaften und weibischen Luxus. Dazu kam eine ganz andere Symbolik, nämlich die Verbindung der Gabel mit dem Teufel, der mit ihr im Höllenfeuer hantiere. Die berühmte Hildegard von Bingen und der heilige Bonaventura verurteilten den Gabelgebrauch als teuflisch. Auch Martin Luther soll sich mit dem Ausruf „Gott behüte mich vor Gäbelchen“ gegen das neumodische Gerät gewehrt haben. Das Bild weiblicher Verweichlichung und gottloser Hybris, das Petrus Damiani auf Byzanz gemünzt hatte, wurde von ihm auf Italien und das Papsttum übertragen.
Das Essen mit Messer und Gabel verbreitete sich nur langsam, zuerst als eine „weibische Sitte“. Noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts bedienten sich nur die Damen der Gabel, weil die Herren dieses Esswerkzeug als zu unelegant empfanden und stattdessen lieber zum Löffel griffen oder mit dem Messer oder der Hand zum Mund fuhren. Umgekehrt führte im ländlichen Milieu die späte Übernahme der Gabel als Essgerät zu einem Nachhinken der Frauen, die sich in manchen Regionen sehr viel länger als die Männer allein mit dem Löffel begnügen mussten. Die Gabel, die zuerst das Essgerät vornehmer Frauen darstellte, um dabei kein Messer benutzen zu müssen, wurde dann zum Gerät der Männer. Erst allmählich verschwanden alle geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Verwendung des Essbestecks.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 13. Jänner 2007