Seit genau 200 Jahren ist sie nunmehr ein Museumsstück und das Prunkstück der Wiener Schatzkammer: die deutsche Kaiserkrone. Es war einer jener heißen Hundstage, als am 6. August 1806 in Wien vom Balkon der Kirche am Hof vor einem eher teilnahmslosen Publikum kundgemacht wurde, dass das Deutsche Reich aufgelöst sei. Damit war das „Heilige Römische Reich deutscher Nation“, das mehr als 1000 Jahre bestanden hatte, Geschichte. Seit jenem 6. August 1806 ist Österreich auch formalrechtlich ein selbständiger Staat. Kaiser Franz II. vermied jegliche Formulierung, die auf eine Abdankung oder einen Verzicht auf die Krone hätte schließen lassen. Er verkündete statt dessen die Auflösung des Reiches. Kein anderer, vor allem nicht Napoleon, sollte sich die deutsche Kaiserkrone aufsetzen können. Die Auflösung des Reiches durch den Kaiser war verfassungsrechtlich zwar völlig ungedeckt. Aber weil niemand protestierte, wurde sie Realität. Die nach dem Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803 insgesamt 131 Reichsstände, darunter auch Österreich, wurden in die Selbständigkeit entlassen.
Franz II., der schon 1804 als Franz I. die Würde eines Kaisers von Österreich angenommen hatte, trug zwischen 1804 und 1806 zwei Kaiserkronen und zwei Namen: Franz II. und Franz I. Freude hat Franz mit seiner neuen Würde nie gehabt. Weder er noch seine Nachfolger ließen sich jemals zum österreichischen Kaiser krönen. Das offizielle Porträt, das Friedrich Amerling mit den Insignien des neuen österreichischen Kaisertums anfertigte, demaskierte den wackelnden Thron: die viel zu große österreichische Kaiserkrone krönt Franz nicht, sondern erdrückt ihn fast.
Mit dem Ende des Reiches, das mehr als 1000 Jahre bestanden hatte, begann eine fast 150-jährige Misere um ein neues Reich: der Kampf zwischen großdeutscher oder kleindeutscher Lösung, die Anschluss- diskussionen, der Erste Weltkrieg im Bündnis mit dem 1871 gegründeten militaristisch- imperialistischen Zweiten Deutschen Reich, schließlich das rassistisch-totalitäre so genannte „Dritte Reich“, dem man einer mittelalterlichen Prophezeiung zufolge in propagandistischer Weise weitere 1000 Jahre bis zur Endzeit zuschreiben wollte. Hitler ließ die alte Reichskrone von Wien nach Nürnberg bringen. Von den USA wurde sie wieder an Österreich zurückgegeben. Erst nach 1945 war das Reich wirklich Geschichte und hat mit der Europäischen Vereinigung eine ganz neue Ära beginnen können, die dort anknüpfte, wo Karl der Große im Jahre 800 angefangen hatte: beim „Regnum Europense“.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 5. August 2006, 32.