Bert Brecht, dessen Todestag sich am 14. August zum 50. Mal jährt, war nicht nur ein sprachgewaltiger Kapitalismuskritiker, sondern auch ein leidenschaftlicher Liebhaber kapitalistischer Statussymbole. Noch ziemlich am Anfang seiner Karriere – der große Erfolg mit der „Dreigroschenoper“ im Jahre 1928 lag noch vor ihm – machte er mehreren Automobil-Konzernen ein Angebot: „Biete Werbegedicht, suche Straßenkreuzer.“ Ford und Dodge lehnten ab, Steyr ging darauf ein. So entstand das Lied von den „Singenden Steyrwägen“: „Wir stammen / Aus einer Waffenfabrik / Unser kleiner Bruder ist / Der Mannlicherstutzen. / Unsere Mutter aber / Eine steyrische Erzgrube / Wir haben: / Sechs Zylinder und dreißig Pferdekräfte. / Wir wiegen: / Zweiundzwanzig Zentner. / … / wir haben: Eine Schwenkachse. / Wir liegen in der Kurve wie Klebestreifen. / Unser Motor ist: / Ein denkendes Erz. / Mensch, fahre uns!!“ Lange fuhr Brecht das Auto nicht. 1929 stieß er mit 70 km pro Stunde gegen einen Baum, ohne allerdings größere Verletzungen zu erleiden. Die massive Karosserie hatte den Aufprall abgefangen. Brecht und Steyr machten daraus eine mit „Ein Auto, in dem man überlebt“ betitelte und mit mehreren „Beweisfotos“ unterlegte Werbestory, für die Brecht einen neuen Steyr erhielt, den er benutzte, bis die Gestapo ihn 1935 requirierte und er im Exil auf einen alten Ford umsteigen musste.
Steyr konnte in der Zwischenkriegszeit mit genialen Konstrukteuren wie Hans Ledwinka, Ferdinand Porsche und Karl Jenschke technisch bahnbrechende und hochwertige Produkte auf den Markt bringen: das zwischen 1920 und 1924 gebaute Waffenauto, dann den robusten, ab 1925 gebauten Typ XII, das erste serienmäßige Auto mit Gelenkschwingachse, das auch Brecht erhalten hatte, oder den 1934 auf den Markt gebrachten Typ 100 in serienmäßiger Stromlinienkarosserie. Max Reisch machte damit seine Transasien-Expeditionen und der burgenländische Graf Laszlo Edouard d´Almásy, der „englische Patient“ des preisgekrönten Films, seine Wüstenfahrten, auch wenn im Film dafür Ford-Modelle verwendet wurden.
Insgesamt wurden zwischen 1920 und 1941 in Steyr 56448 Personenautos erzeugt. Das populärste darunter war das 1935 bis 1940 gebaute „Steyr-Baby“. Die liebevolle Bezeichnung bezog sich auf den Werbeslogan „Ich möcht' von Dir ein Baby - ein Steyr-Baby“. In seiner käferähnlichen Karosserie und seiner Ausstattung war das „Baby“ zweifellos der „Onkel“ des Volkswagens und in Wahrheit der einzige Volkswagen im Deutschen Reich, den man tatsächlich kaufen konnte.
Roman Sandgruber
Aus der Serie "Alltagsdinge". Oberösterreichische Nachrichten, 12. August 2006, 30.